Tommy Hilfiger unter Druck gesetzt
Die neuen Formen des Organizing machen Gewerkschaften für Beschäftigte attraktiver
Am Mittwochnachmittag tauchten bei Tommy-Hilfiger-Läden in Düsseldorf und Berlin jeweils knapp 20 Menschen auf, verteilten Flugblätter an Kunden sowie Passanten und sprachen mit Beschäftigten sowie der Geschäftsführung. Die Aktivisten erklärten sich solidarisch mit Kollegen jenseits des Atlantiks.
Die etwa 100 Beschäftigten eines Vertriebszentrums von Tommy Hilfiger in Montreal, Kanada, haben sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, sich in der Gewerkschaft »Unite Here« zu organisieren. Das von dem US-amerikanischen Modedesigner Hilfiger gegründete multinationale Unternehmen versuche seitdem, die Beschäftigten von ihrem Ansinnen abzubringen, kritisiert die Gewerkschaft. Der Konzern schikaniere die Arbeiter während und nach ihrer Arbeitszeit und führe verpflichtende Veranstaltungen durch, auf denen Referenten Stimmung gegen Gewerkschaften machen würden. »Unite Here« rief zur Unterstützung der Betroffenen auf.
Die Beschäftigten in Düsseldorf und Berlin waren gegenüber dem unangemeldeten Besuch aufgeschlossen, berichtet ein ver.di-Mitglied, das sich am Mittwoch beim Flugblattverteilen beteiligte. Der junge Mann hat von Angestellten erfahren, dass auch die hiesigen Arbeitsbedingungen nicht die besten seien. Es werde erzählt, dass vor Jahren die Gründung eines Betriebsrats durch den Konzern verhindert wurde.
Mit den Protestaktionen soll Druck auf das Bekleidungsunternehmen ausgeübt werden, damit es seine gewerkschaftsfeindliche Politik beendet. Die Proteste sollen den Verantwortlichen vor Augen führen, dass deren Maßnahmen auch andernorts wahrgenommen werden und der Protest nun sogar nach Europa hinübergeschwappt ist.
Dass derartige Proteste etwas bewirken können, zeigten im November 2006 Solidaritätsaktionen in mehreren europäischen Städten für streikende Reinigungskräfte in Housten, Texas. In Berlin besuchten etwa 50 Menschen die Berliner Geschäftsstelle und weitere Häuser des Houstoner Immobilienriesen Hines. Die Firma ist einer der größten Auftraggeber der im Mittelpunkt des Konflikts stehenden Gebäudereinigungsfirmen. Erst als die Krise mit diesen Protesten international ausgeweitet wurde, ging der Konzern auf die Forderungen der Streikenden ein. Dieses Vorgehen ist typisch für Organizing-Kampangen. Mit Hines wurde ein Kunde der Dienstleistungsfirma ins Visier genommen, um Druck auszuüben. Dem Dienstleister wird quasi gedroht, dass er Aufträge verlieren kann, wenn er die Forderungen von Streikenden ignoriert.
Auch wenn die aktuelle Auseinandersetzung bei Tommy Hilfiger zu den kleineren Konflikten gehört und nicht Teil einer mehrmonatigen gewerkschaftlichen Organizing-Kampagne ist, sind solche Aktionen für die Netzwerkbildung der Gewerkschaften relevant. Eine solche Kooperation und gegenseitige Unterstützung kann auch den deutschen Gewerkschaften bei künftigen Auseinandersetzungen helfen.
Die Intervention in Arbeitskämpfe dient nicht nur der Solidarität mit Kollegen in aller Welt. Solche für deutsche Gewerkschaften noch weitgehend unübliche Formen zielen auch auf den Auf- und Ausbau betrieblicher Interessenvertretung und der Mitgliedergewinnung. Organizing, immer als längerfristige Kampagne angelegt, soll Beschäftigte dafür gewinnen, ihre Probleme nicht zu delegieren, sondern selbst aktiv zu werden und sich kollektiv zu organisieren, um die Chancen zu erhöhen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Organizing setzt deshalb bei den Problemen der Kollegen vor Ort an.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zeigte sich innovativ, als sie im Januar 2006 mit dem kampagnenorientierten Konzept des Organizing begann. Das erste Projekt zielte auf Organisierung der Beschäftigten in privaten Sicherheitsunternehmen Hamburgs. Es entstand aus einer Zusammenarbeit der Dienstleistungsgewerkschaft mit der US-amerikanischen Schwestergewerkschaft SEIU. Organizing ist ein Modell, das jedoch nicht nur in Bereichen von prekärer Beschäftigung oder mit geringem Organisierungsgrad Anwendung finden kann.
Bevor es zu öffentlich wirksamen Aktionen kommt, ist der Hauptteil der Arbeit schon getan. Die Organizer haben in monatelanger Vorarbeit recherchiert und geplant, mit Beschäftigten gesprochen und dabei interne sowie externe Organisierungsprozesse angestoßen und unterstützt. So beispielsweise 2007 während des Streiks bei Hermes Warehousing Solutions (HWS), einer Tochter des Otto-Versandhandels. Bundesweit sind in mehreren Städten Menschen in Otto-Shops gegangen. Dort baten sie die Angestellten, an die Unternehmensleitung ein Fax zu senden, das sich mit den Streikenden solidarisiert. Gleich Hunderte von Streikenden aus Haldensleben tauchten in einer Magdeburger Shopping-Mall auf. Dort herrschte eine so angenehm ansteckende Atmosphäre, dass eine Restaurantkette allen Streikenden 50 Prozent Rabatt gewährte.
An Aktionen wie bei Tommy Hilfiger oder HWS beteiligten sich Hauptamtliche aus den Gewerkschaften, ver.di-Organizer, Gewerkschaftsmitglieder, Beschäftigte und Menschen aus sozialen Bewegungen. Diese Zusammenarbeit ist ausdrücklich erwünscht. So kommen viele Erfahrungen zusammen. Solche Bündnisse und eine konsequent basisorientierte Ausrichtung könnten Gewerkschaften als soziale Bewegung wieder stark machen.
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