Geometrie der Musik
US-Forscher bilden Töne im Raum ab
Dass es zwischen Mathematik und Musik zahlreiche Verbindungen gibt, ist nicht unbedingt neu. Schon der griechische Philosoph Pythagoras führte den harmonischen Zusammenklang der Töne auf einfache Zahlenverhältnisse zurück, welche er für so fundamental hielt, dass er sie auf den Kosmos projizierte. Demnach sollten die Planeten bei ihrer harmonischen Bewegung am Himmel eine Art Sphärenmusik erzeugen, die für »gewöhnliche« Menschen allerdings nicht wahrnehmbar sei. Im 17. Jahrhundert knüpfte der deutsche Astronom Johannes Kepler an die pythagoreische Tradition an, indem er jedem Planeten ausgehend von dessen Umlaufgeschwindigkeit einen Ton zuordnete. Nebenbei bemerkt ließ Kepler sich durch zahlenmystische Spekulationen zur Entdeckung der später nach ihm benannten Planetengesetze inspirieren.
Nun haben drei amerikanische Wissenschaftler einen völlig neuen Ansatz entwickelt, um die Mathematik, die sich hinter der Musik verbirgt, zu enthüllen. Zu diesem Zweck gruppierten sie die Bausteine der untersuchten Kompositionen zu »Familien« von Akkorden, Melodien und anderen Sequenzen. Diese wiederum unterwarfen sie einer aufwändigen mathematischen Analyse und übersetzten die Ergebnisse, um sie besser veranschaulichen zu können, in die Sprache der Geometrie. Was dabei herausgekommen ist, teilen Dmitri Tymoczko von der Princeton University und seine Kollegen jetzt im US-Fachblatt »Science« (Bd. 320, S. 346) mit. So bilden »Akkorde« mit zwei Tönen im Raum der musikalischen Objekte ein Möbiusband, sprich eine zweidimensionale Struktur, die nur eine Kante und Fläche besitzt und immer wieder in sich selbst übergeht. Akkorde mit drei Tönen konstituieren eine kegelförmige Struktur. Hingegen entstehen bei mehr Tönen geometrische Gebilde, für die noch nicht einmal ein Name existiert.
Betrachtet man nun die geometrisierten Stücke von Komponisten wie Mozart oder Beethoven genauer, findet man erstaunliche Gemeinsamkeiten. Erstens folgen verwandte Akkorde häufig aufeinander. Und zweitens liegen sämtliche Akkorde eines Stückes in einem eng begrenzten Gebiet des geometrischen Raumes. Die Gebiete selbst differieren jedoch von Komponist zu Komponist. »Wir können daher die Geschichte der Musik bis zu einem gewissen Grad als Entwicklung verschiedener Symmetrien und Geometrien darstellen«, sagt Tymoczko. Bisher allerdings haben die Wissenschaftler ihre Untersuchungen auf die westliche Musik beschränkt, da Konzepte wie der Akkord nicht in allen Kulturen vorkommen. Sie wollen aber künftig herausfinden, welche geometrisch-musikalischen Strukturen für andere Kulturkreise prägend sind.
Den Vorwurf, das alles sei nur eine nutzlose Spielerei, weist die Mathematikerin Rachel Wells Hall in einem »Science«-Kommentar zurück. Vielmehr könnten die neuen Methoden Eingang in die Kompositionslehre finden, und sie könnten zur Entwicklung origineller Instrumente beitragen. Für Musikliebhaber besteht indes kein Grund zur Besorgnis, denn das eigentliche Hörerlebnis wird durch die Akkordgeometrie in keiner Weise beeinflusst.
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