Die Profitgier der Industrie verursacht die hohen Kosten

  • Jörg Schaaber
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Profitgier der Industrie verursacht die hohen Kosten

Die Preise für Arzneimittel seien im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben, so die Pharmaindustrie. Ist das wirklich eine gute Nachricht? Nein, denn im internationalen Vergleich sind in Deutschland die Preise für Medikamente hoch. Außerdem sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung auch dieses Jahr wieder deutlich gestiegen. Schuld daran sind die höheren Ausgaben für neue Arzneimittel. Ursache ist nicht zuletzt, dass hierzulande jedes neue Medikament zu Lasten der Kassen verordnet werden kann. Viele andere Länder schauen erst, ob ein neues Mittel Verbesserungen bringt und handeln dann einen Preis aus.

Nach Auffassung der Industrie gibt es eine Unterversorgung mit neuen Arzneimitteln. Sie hat keine Kosten gescheut, diese Behauptung mit einer eigenen Untersuchung, dem sogenannten Arzneimittelatlas, zu unterfüttern. Diese Publikation basiert auf einer dünnen Datengrundlage und arbeitet mit oft zweifelhaften Annahmen. So werden große Teile der Bevölkerung als krank definiert. Ob Bluthochdruck oder Knochenschwund, die Zahl der angeblich Betroffenen wird erstaunlich hoch geschätzt und so eine deutliche Unterversorgung an Medikamenten konstru-iert. Während bei Bluthochdruck eine sinnvolle Behandlung möglich ist, ist bei den meisten Osteoporosemittel kaum ein Nutzen vorhanden – und das bei nicht besonders guter Verträglichkeit.

Nicht alles, was neu ist, ist auch besser: Die US-Zulassungsbehörde sieht beispielsweise nur bei knapp einem Viertel aller neuen Medikamente einen therapeutischen Fortschritt. Mindestens ebenso problematisch ist das noch nicht vollständig bekannte Risikoprofil von neuen Wirkstoffen. Seltene, aber mitunter schwere Nebenwirkungen können bei den wenigen tausend Versuchspersonen, an denen die Mittel vor der Zulassung getestet werden, nicht erkannt werden. Ein Beispiel dafür ist das Rheumamittel Vioxx® (Rofecoxib). Es wurde mit einer vermeintlich besseren Magenverträglichkeit beworben und massenhaft eingesetzt. Das Mittel war herzschädigend und führte zu vielen vermeidbaren Todesfällen. Die Beispiele lassen sich fortsetzen: Die teuren Insulinanaloga helfen nicht besser gegen Diabetes als Insuline. Neue Medikamente gegen Bluthochdruck nützen hauptsächlich der Konzernbilanz. Clopidogrel verhütet einen erneuten Herzinfarkt nicht besser als Azetylsalizylsäure, kostet aber ein Vielfaches.

Wie verkaufen die Firmen ihre neuen Produkte? Dazu trägt eine enorme Werbemaschinerie bei, für die rund doppelt so viel wie für die Medikamentenforschung ausgegeben wird. Tausende von Pharmavertretern beeinflussen die Ärzte. Die Maschinerie macht auch vor der Wissenschaft nicht halt: Viele Studien zu Arzneimitteln werden von Firmen gesponsert und auch die vorteilhafte Darstellung der Ergebnisse lässt sich die Industrie einiges kosten. Dagegen landen negative Ergebnisse oft in der Schublade. So ergab ein Vergleich zwischen den veröffentlichten Studien zu Mitteln gegen Depressionen und den Unterlagen, die der US-Zulassungsbehörde vorlagen, dass die publizierten Daten die Wirkung der Mittel um ein bis zwei Drittel überschätzen. Wie sollen Ärzte unter solchen Bedingungen vernünftige Therapieentscheidungen treffen?

Doch der Industrie reicht das noch nicht. Sie möchte auch die Patienten direkt beeinflussen und arbeitet auf EU-Ebene gerade intensiv daran, künftig auch die Verbraucher über rezeptpflichtige Arzneimittel »informieren« zu dürfen. Wozu das führt, zeigt das Beispiel USA, außer Neuseeland das einzige Land, das Direktwerbung für solche Mittel erlaubt. Die USA haben die höchsten Pro-Kopf-Arzneimittelausgaben weltweit. Der Aufwand lohnt sich: Jeder Dollar, der in Verbraucherwerbung gesteckt wird, bringt vier Dollar mehr Umsatz.

Ein wichtiges Argument für hohe Arzneimittelpreise sind die vermeintlich hohen Forschungskosten. Gern verbreitet die Industrie die magische Zahl von 800 Millionen Dollar Entwicklungskosten pro neuem Medikament. Sie basiert auf der Studie eines stark pharmagesponserten Instituts der US-amerikanischen Tufts-Universität. Dort lässt sich allerdings nachlesen, dass die tatsächlichen Ausgaben der Firmen mit 403 Millionen Dollar berechnet wurden. Die Verdoppelung beruht auf einem umstrittenen Rechentrick: Was hätte man mit derselben Summe verdienen können, wenn man das Geld, statt es in die Pharmaforschung zu stecken, am Kapitalmarkt investiert hätte? Unterschlagen werden auch die erheblichen Steuernachlässe für Forschungsausgaben. Zieht man die ab, bleiben nur noch rund 250 Millionen Dollar übrig.

Geforscht wird vor allem gegen Krankheiten, bei denen mit großen Umsätzen zu rechnen ist. Und das betrifft hauptsächlich chronische Erkrankungen, für die es teilweise schon gute Therapien gibt. Der Herzkranke oder Diabetiker in Industrieländern kann also mit einer Vielzahl von Medikamenten rechnen, während die Firmen aus der Erforschung von AIDS-Impfstoffen weitgehend ausgestiegen sind und seit vielen Jahren kein neues Tuberkulosemittel mehr entwickelt haben.

Der Gesetzgeber hat mit einer Palette von Maßnahmen versucht, die Ausgaben für Medikamente zu begrenzen. Neben sinnvollen Maßnahmen, wie Festbeträge für therapeutisch vergleichbare Mittel und dem Verzicht auf Patienten-zuzahlungen für besonders preiswerte Medikamente, wurde in letzter Zeit ein zweifelhafter Wettbewerb eingeführt. So können Kassen mit Herstellern Rabatte aushandeln. Das Einsparpotenzial wird dabei auf gerade ein Prozent der Gesamtausgaben geschätzt. Dazu ist das Verfahren intransparent und korruptionsanfällig. Noch bedenklicher könnten sich die geplanten Höchstbeträge auswirken. Für neue Mittel wird ein Betrag festgelegt, den die Kassen erstatten, der Hersteller kann den Preis beliebig festsetzen. Die Zeche zahlen die Patienten mit hohen Zuzahlungen.

Gefragt wäre eine Bewertung des Nutzens neuer Mittel für Patienten im Vergleich zu etablierten Therapien. Nur wenn das neue Mittel besser ist, sollten die Kassen einen angemessenen festen Preis dafür aushandeln. Die unterschiedslose Erstattung aller neuer Mittel durch die Krankenkassen führt nicht nur zu unnötigen Ausgaben und Risiken für Patienten. Indirekt trägt sie auch zu einer falschen Steuerung der Forschung bei.

Jörg Schaaber ist Soziologe und Gesundheitswissenschaftler. Er arbeitet für die Pharma-Kampagne der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO), die sich seit etwa 25 Jahren kritisch mit der Pharmaindustrie auseinandersetzt. Er ist Chefredakteur der von BUKO herausgegebenen Zeitschrift »Pharma-Brief« und Geschäftsführer der Verbraucherzeitschrift »Gute Pillen – Schlechte Pillen«. Jörg Schaaber veröffentlichte zahlreiche Artikel zur Geschäftspolitik der Pharmakonzerne und ist Autor des Buches »Keine Medikamente für die Armen?«.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal