»Die letzte Schlacht gewinnen wir«

Auf einer SDS-Tagung in Berlin diskutierte man über die Ergebnisse der 68er Revolte

  • Birgit von Criegern
  • Lesedauer: 3 Min.
Während zahlreiche Medien die 68er Bewegung zur bloßen Kulturrevolte erklären, lieferte die Tagung des Studierendenverbandes der Linkspartei (SDS) wichtige Impulse für eine ehrliche Bestandsaufnahme. Mit Blick auf die kritische Wissenschaft der 68er wurden die Anforderungen zeitgemäßer Bildung beleuchtet.
Kongressteilnehmer üben den zivilen Ungehorsam.
Kongressteilnehmer üben den zivilen Ungehorsam.

»Es kann uns doch nicht nur darum gehen, den Kapitalismus zu interpretieren, sondern ihn zu überwinden«, dieser Zuruf aus dem Publikum brachte wohl auf den Punkt, worum es den meisten Teilnehmern des SDS-Kongresses ging.

Das Wissen über die wirtschaftlich und politisch erzwungenen Bildungsstrukturen, die Universitäten zu Ausbildungsorten für »Humankapital« degradieren, einte alle Versammelten. Bei der Diskussion von Alexander Demirovic und Rainer Rilling zum Thema: »Parteilichkeit der Wissenschaft« wurde Uneingelöstes aus der Zeit der 68er herausgestellt. Fraglos gibt es etwa für Rilling diese Parteilichkeit damals wie heute. Seinerzeit sei sie »unbefangen reflektiert« worden, heute jedoch würde die gesellschaftliche Bezugnahme und Verantwortung von Wissenschaft meist ausgeblendet. Nach wie vor könnten Studierende, Intellektuelle und damit »Grenzüberschreitende« sein, so Rilling. Auf diesem Gebiet bleibe für linke Wissenschaft manches zu tun. Etwa habe der frühere SDS »die soziale Brutalisierung unserer Kultur« in der Militärforschung analysiert, eine Aufgabe, die man seit 40 Jahren kaum noch wahrnimmt. »Welche Texte kommen in den Kanon, was wird studiert?« – laut Alexander Demirovic, Gastprofessor an der TU Berlin, »dürfen wir diese Fragen nicht anderen überlassen. Für kritische Wissenschaft geht es darum, Fakten im Lichte ihrer möglichen Überwindbarkeit zu untersuchen.«

Ein sehr interessiertes Publikum in dem überfüllten Raum folgte der Diskussion. Doch stellte sich für die Zuhörenden die Frage nach Strategien angesichts der Interessenverwertung durch Konzerne und des dünnen Bildungskorsetts von Bachelor- und Masterstudium. »Die Wissenschaft selbst ist ein Kampf«, so Demirovic, »Wichtig ist auch die Erkenntnisgewinnung und Feinnervigkeit« im Alltag. Dieser recht optimistische Ansatz wurde am Tag darauf etwas gegen den Strich gebürstet. Der Soziologe Andrej Holm und der Psychologieprofessor Morus Markardt konstatierten einen Rückzug der Mittel kritischen Lernens, die man nach 1968 eingeführt hatte.

Mehr noch: Der kritische Stadtsoziologe Holm wurde im Vorjahr ein Opfer der Fahndungsmethoden des Bundeskriminalamtes. Die »Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten« war gar zur Grundlage eines Terrorverdachts gegen Holm geworden, den man aufgrund dürftiger Indizien inhaftiert hatte. Doch 3000 Akademiker protestierten in einem offenen Brief gegen diese offensichtliche Repression. »Ein gewisses Wiederaufleben rebellischer Wissenschaft« sei zu erhoffen, so Holm. »Reale Mitbestimmung an Hochschulen wird heute ersetzt durch Selbstevaluation«, meinte der kritische Psychologe Markardt. Er sprach von der »Verpflichtung« zur Kritik gemäß Horkheimer. Es könne nicht nur darum gehen, »Missstände abzustellen«, die die Hochschulen selbst betreffen. Die Reproduzierung von Herrschaft in der Lehre müsse Ziel der Kritik sein. So steht etwa die Psychologie vor einem Scheideweg. Im System für »Anpassungen« der Menschen an kapitalistische Bedingungen eingesetzt, könnte sie jedoch auch dazu dienen, gesellschaftliche Widersprüche aufzudecken.

Konflikte, die sich heute Studierenden auftun, kamen in den Vorträgen ausgiebig zur Sprache. Dass die herrschende »pluralistische« Ordnung nicht wertfrei ist, wurde denn auch in anderen Vorträgen deutlich. Einen Blick auf das Wirken von Simone de Beauvoir und Clara Zetkin gab die Germanistin Florence Hervé. Politische Intentionen kommen zum Tragen, wenn beide Persönlichkeiten in der heutigen Geschichtsschreibung vereinfacht dargestellt werden. So würde Beauvoir »oft reduziert auf ihre Weiblichkeit«, ungeachtet ihres komplexen philosophischen und gesellschaftlichen Wirkens. Zetkin, von der westdeutschen Forschung kaum noch beachtet, war wie Beauvoir Rebellin auf vielen Ebenen. Übersehen wird oft, dass Zetkin auch Pädagogin und Literatin war. Untrennbar im kritischen Ansatz der beiden Intellektuellen sind Geschlechterfragen und die soziale Emanzipation.

Der Kongress endete am gestrigen Nachmittag mit einer Diskussion zum Thema »Notstand der Demokratie«.

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