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Ende in der Sackgasse

Nachruf auf das PEN-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland

  • Werner Liersch
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Ende war blamabel und vorauszusehen, wenn auch nicht so. Im vorigen Monat wurde die Selbstauflösung des »PEN Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland«, Adresse London, bekannt. Die Gegenwehr der Mitglieder, teilweise presseöffentlich, war schwach. Ein Stück Literaturgeschichte endet. Hervorgegangen war die Vereinigung aus dem deutschen Exil-PEN, der 1934 mit entschieden antinazistischer Tendenz gegründet worden war. Ihm stellten sich Heinrich Mann (Paris) als Präsident und Rudolf Olden (Oxford) als Generalsekretär zur Verfügung. Im Namen der emigrierten deutschen Schriftsteller hatten sich schon Ende 1933 Lion Feuchtwanger, Max Hermann-Neiße, Rudolf Olden und Ernst Toller beim Exekutiv-Komitee des Internationalen PEN in London für einen deutschen Exil-PEN eingesetzt. Er verlor nach 1945 nicht seine Bedeutung. Hans Keilson, sein vorletzter Präsident, erinnerte 1985 an die Hasstiraden, die dem »Emigranten« Thomas Mann nach dem Kriege aus Deutschland entgegenschallten, und an den Entschluss vieler Autoren, die unfreiwillig die Heimat verlassen hatten und nun freiwillig »draußen« blieben. »Niemand hat sie je aufgefordert heimzukehren.« Bis 1985 hatte sich die Struktur des Zentrums jedoch grundlegend verändert. Viele seiner ursprünglichen Mitglieder lebten nicht mehr. Die Vereinigung formulierte jetzt in ihrer Satzung: »Als Mitglieder können ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit deutschsprachige Schriftsteller im Ausland aufgenommen werden«. Sie stellten nun die Mehrheit. Offensichtlich hatte das Zentrum Schwierigkeiten, seinen Platz in der veränderten Situation zu bestimmen. 1988 löste Fritz Beer Keilson ab. Er hatte in den dreißiger Jahren in Prag als Journalist und Redakteur für die kommunistische Presse gearbeitet und war aus Protest gegen den Hitler-Stalin-Pakt aus der KP ausgetreten. 1989 zog sich auch der langjährige Generalsekretär Arno Reinfrank nach internen Konflikten zurück. Der Journalist Uwe Westphal trat an seine Stelle. Westphal und Beer positionierten sich nach 1989 - weitgehend ein Alleingang - als strikte Gegner einer Verständigung und Verschmelzung der beiden PEN-Zentren in Deutschland. Für andere Aktivitäten war kaum noch Raum. In den letzten drei Jahren gab es nicht einmal mehr ordentliche Mitgliederversammlungen. Die 108 Mitglieder reagierten mit Passivität. Im Jahr 2001 zahlten nur noch 18 ihre Beiträge und auf Westphals briefliche Selbstauflösungsankündigung antworteten lediglich 14 Autoren, von denen acht die Weiterführung forderten, darunter zwei mit der Begründung, dass sie sonst keinen Ausweis als Schriftsteller erhalten würden. Alliana Brodmann, Vorstandsmitglied aus Massachussets, USA, bemerkte öffentlich: »Das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland aufzulösen, bevor es tatsächlich ausgedient hat, hieße, zum Negieren der deutschen Vergangenheit beizutragen und die Zukunft einzuschränken, eine Unverantwortlichkeit und Missachtung gegenüber den Gründern dieses einst bedeutenden Zentrums. Es wurde von denen, die es jetzt auflösen wollen, heruntergewirtschaftet.« Am Ende hatten Westphal und Beer ihren Club sogar gegen den Internationalen PEN in London in Stellung gebracht. Es wurden »antiamerikanische Tendenzen und NATO-Feindlichkeit« ausgemacht, zu große Toleranz gegenüber »undemokratischen Kräften«. Im letzten Rundbrief vom Dezember 2001 zog Westphal das Fazit, sein PEN-Club hätte »der Versuchung widerstanden, mit ideologischer Zweideutigkeit und dem Leerlauf eitler Vereinsmeierei eine Organisation zu schaffen, die so wie das Internationale PEN viele Mitglieder aber kein Ansehen mehr hat«. Vertreter der drei deutschen PEN-Zentren trafen sich 1991 in einem »Koordinierungsausschuss« zu einer kritischen Bestandsaufnahme ihres Verhältnisses. Teilweise ging es um schlichte Information. »Toleranz, Zuhören und langsame Schritte waren angesagt«, charakterisierte Christa Dericum, Generalsekretärin des »PEN-Zentrum Bundesrepublik Deutschland« 1993/94, später die Situation. Fritz Beer verlangte im Ausschuss von Stefan Hermlin über allen Antistalinismus hinaus die Totalabsage an den »Sozialismus«. Wie hätte der Gründungspräsident seines Zentrums, Heinrich Mann, mit seinen sozialistischen Sympathien in dieser Perspektive dagestanden? Der »Koordinierungausschuss« scheiterte. Der Versuch sachlicher Auseinandersetzung und Aufarbeitung wurde mit abenteuerlichen politischen und persönlichen Unterstellungen umgedeutet. Westphal heftete Walter Jens, westdeutscher PEN-Präsident 1976/80 und dann Ehrenpräsident, beispielsweise 1995 an, sich schon seit Mitte der siebziger Jahre kaum noch an die Londoner Vereinigung erinnert zu haben. »In den folgenden Jahren erfuhren wir häufiger eine solche Haltung, die schließlich in der "Vereinigungsdebatte" der beiden deutschen P.E.N.-Zentren gipfelte. Als hätte es nie die Erfahrung mit einem Nazistaat und mit einer Unterdrückung und Verfolgung in der DDR gegeben, verlief die Pro-Vereinigungsdiskussion entlang gewisser deutsch-nationalistischer Vorstellungen von einem starken, geeinten - eben deutschen - P.E.N.-Zentrum«. Und um der Sache das Odium einer Verschwörung zu geben, war immer wieder die Rede von einem Ausschluss von Gesprächen, unterlassenen Einladungen, unbeantworteten Briefen und dies bis in diese Tage, wo dem neuen Präsidenten des vereinigten deutschen PEN, dem Exiliraner SAID, Ähnliches vorgehalten und das Zentrum verdächtigt wurde, Druck ausgeübt zu haben, die Londoner Vereinigung als »eine unliebsame, politisch nicht gleichgeschaltete Konkurrenz« mundtot zu machen. Generalsekretär Johano Strasser kommentierte dies als »völligen Unsinn«. Die »Vereinigungsfrage« hat vor ihrer Lösung die beiden deutschen PEN-Zentren beinahe zerrissen und war mit dem Verlust wichtiger Mitglieder verbunden, deren Stimmen fehlen. Es war die Anstrengung beinahe eines Jahrzehnts und die Realität eines Klärungsprozesses, der bei der staatlichen Vereinigung nicht stattgefunden hatte. Seine Tatsachen sind seine Tatsachen, doch auch sie haben ein Niveau. Die Geschichte des ruhmreichen Exil-PEN hat ein anderes Ende beinhaltet, als die letzte Empfehlung des letzten Präsidenten der Londoner Vereinigung: »Als das Sekretariat des Internationalen PEN vor mehreren Jahren - in totaler Unkenntnis der Situation in der deutschen Literaturwelt - unsere Auflösung forderte, wollte es unseren Mitgliedern vorschlagen, sich entweder dem PEN-Zentrum ihres Gastlandes oder Deutschland anzuschließen. Unsere oft geäußerten Vorbehalte gegen die Orientierung und Praxis des internationalen PEN gestattet uns nicht, heute so eine Empfehlung zu befürworten. So weit wir es beurteilen können, steht die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal unserer Tradition am nächsten«. Man kann durchaus davon betroffen sein, dass es einem Mann mit den Meriten und der Biografie von Fritz Beer nicht gelungen ist, zu einem anderen Ende mit seinem Club zu kommen.
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