Wie der Mensch zur Sprache kam
Neue Forschungen liefern überzeugende Hypothesen zur Entstehung, endgültige Antworten nicht
»Und der Mensch heißt Mensch, weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt …«. In dem Song »Mensch« zählt Herbert Grönemeyer viele Aspekte des Menschseins auf. Doch ausgerechnet der augenfälligste Unterschied zwischen Mensch und Tier fehlt in seinem poetischen Text: Der Mensch ist Mensch, weil er spricht!
Auch Tieren können kommunizieren, doch ihre »Sprache« hat keine Grammatik. Dadurch bleiben ihre Ausdruckmöglichkeiten begrenzt. Menschen dagegen können komplexe Satzstrukturen bilden und somit auch komplizierte abstrakte Sachverhalte darstellen.
Und weil Sprache etwas so grundlegend Wichtiges für uns ist, sei es eigentlich ein Skandal, dass wir dieses Phänomen immer noch nicht befriedigend wissenschaftlich erklären können, ärgerte sich Derek Bickerton, Professor für Linguistik an der von der University of Hawaii (USA) unlängst bei einer Veranstaltung des Ernst Strüngemann Forums in Frankfurt am Main zum Thema »Biological Foundations and Origin of Syntax«.
Bickerton und seine Mitstreiter sind überzeugt, dass nur ein interdisziplinärer Ansatz zu befriedigenden Antworten führen kann. Deshalb gab es bei dem Forum vier Arbeitsgruppen, die Sprachentstehung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Linguisten, Biologen, Neurowissenschaftler und Roboterforscher versuchen gemeinsam das Rätsel »Sprachentstehung« zu lösen.
Der Anreiz für die Entwicklung der Sprache war, dass unsere Vorfahren in größeren Gruppen zu leben begannen, so Eörs Szethmary, Evolutionsbiologe an der Universität Budapest. Als es vor 2,6 Millionen Jahren zu einer deutlichen Abkühlung des Klimas auf der Erde kam, wurde die vegetarische Nahrung unserer äffischen Vorfahren rarer. Einige der Menschenaffen aßen nun öfter Fleisch. Sie begannen im offenen Gelände andere Tiere zu jagen. Ihre Beine wurden länger und das Gehirn größer. Um die stärkeren und schnelleren Tiere zu überlisten, war gute Planung und Teamarbeit nötig. Auch die Werkzeuge mussten raffinierter werden. Durch den Haarverlust unserer Vorfahren kam noch eine weitere Anforderung hinzu: Die Kleinen konnten sich nicht mehr im Fell festhalten, waren in den ersten lebensjahren zudem unreifer und pflegebedürftiger. Damit musste neben der Ernährung auch noch das Babysitten organisiert werden. Die Ansprüche an Kooperationsbereitschaft und soziale Intelligenz unserer Vorfahren wuchsen durch die neue Lebensweise enorm.
Vor rund 1,8 Millionen Jahren geschah es dann vermutlich: Homo ergaster konnte willkürlich Laute artikulieren. Wissenschaftler haben nämlich aufgrund von Knochenfunden entdeckt, dass Homo ergaster als erster in unserer Ahnenreihe zur willkürlichen Atemkontrolle fähig war. Denn der Urmensch hatte bereits erweiterte Nervenkanäle im Brust-Zwerchfellbereich, die auf eine Feinkontrolle der Atemmuskulatur schließen lassen. Diese Feinkontrolle ist eine Voraussetzung für die willkürliche Artikulation. Wie sich Homo ergasters Lautäußerungen anhörten, wissen wir nicht. Dass es sich dabei um Sprache nach heutigem Verständnis handelte, ist eher unwahrscheinlich.
Drei Dinge sind wichtig für die Entwicklung von Sprache, so Eörs Szathmary: die Gene, das Gehirn und die Evolution. FOXP2 heißt das Gen, das uns zum Sprechen und die Vögel zum Singen bringt. FOXP2 ist für die Ausprägung von Sprache unerlässlich, wenn es ausfällt, können Mäuse nicht mehr piepsen und Menschen haben schwere Sprachstörungen. Doch FOXP2 ist ein sehr altes Gen, das noch einige andere wichtige Funktionen hat. Viele Tiere besitzen es und können dennoch weder sprechen noch singen. Es zwar gibt eine menschenspezifische Mutation des FOXP2-Gens, über deren Bedeutung sind sich die Wissenschafter jedoch noch nicht einig. Als die diese Mutation entdeckt wurde, wurde sie zuerst auf die Zeit vor rund 100 000 Jahren datiert. Dies unterstützte die Hypothese des späten Spracherwerbs. Doch neuere Forschungsergebnisse haben die Entstehung der Mutation weiter zurück in die Geschichte der menschwerdung verlegt. So müssen die Vertreter dieser Hypothese auf andere Argumentationen zurückgreifen.
Derek Bickerton hält es für wahrscheinlich, dass die Sprache erst vor 200 000 bis 100 000 Jahren entstanden ist. Denn seit rund 200 000 Jahren können Menschen Werkzeuge aus verschiedenen Teilen zusammensetzen. Man nimmt an, dass ein Gehirn, welches die komplexen Abläufe beim Werkzeugbau meistert, auch dazu in der Lage ist, Wörter zu Sätzen zu formen. Zuerst habe es eine »Protosprache« gegeben, als Übungsform. Das Gehirn habe so gelernt, mit Wörtern umzugehen. Später sei dann die Grammatik als entscheidendes Merkmal von Sprache hinzugekommen.
Eine andere Auffassung vertritt die Sprachwissenschaftlerin Ruth Berger in ihrem Buch »Warum der Mensch spricht«. Sie ist überzeugt: »Die Sprache stand am Anfang und nicht am Ende der menschlichen Evolution. Wir sind auch deshalb vom Affen zum Menschen geworden, weil unser Geist sich an der Sprache schulte, weil die Sprache daran beteiligt war, das Gehirn zu formen.« Die neurologischen und sozialen Voraussetzungen für eine Minimalsprache seien bereits beim frühen Homo ergaster vorhanden gewesen. Sie datiert das Zeitfenster für die Entstehung der Sprache zwischen 2,6 Millionen und 600 000 Jahren, also lange vor den modernen Menschen.
fias.uni-frankfurt.de/esforum/
www.derekbickerton.com
www.colbud.hu/fellows/szathmary.shtml
Ruth Berger: Warum der Mensch spricht. Eine Naturgeschichte der Sprache. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main. 2008. 304 S., 19,95 EUR.
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