Die Drei-Grad-Welt ist denkbar

Klimaforschende warnen vor Beschleunigung der globalen Erwärmung

  • Verena Kern
  • Lesedauer: 4 Min.
Waldbrände wie diesen Sommer in Frankreich werden mit der Klimaerwärmung häufiger.
Waldbrände wie diesen Sommer in Frankreich werden mit der Klimaerwärmung häufiger.

Bereits 1987 veröffentlichten die Deutsche Meteorologische Gesellschaft (DMG) und die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) einen gemeinsamen Aufruf, in dem sie vor »drohenden weltweiten Klimaänderungen durch den Menschen« warnten und rasche Gegenmaßnahmen forderten. Es handle sich um eine der größten Gefahren für die Menschheit, hieß es damals. Dieser Bedrohung müsse rechtzeitig begegnet werden, indem der Ausstoß von klimawirksamen Spurengasen ab sofort eingeschränkt werde, lautete damals die Forderung.

Nun, knapp 40 Jahre später, wenden sich die beiden Fachgesellschaften erneut mit einem gemeinsamen Klimaaufruf an die deutsche Politik. Zum Abschluss des Extremwetterkongresses in Hamburg am Donnerstag riefen die Klimaforschenden dazu auf, »unverzüglich ein sehr viel wirksameres Programm zur Eindämmung von menschengemachten Klimaänderungen voranzutreiben und die hierfür notwendigen Maßnahmen nicht weiter in die Zukunft zu verschieben«. Das Papier, an dem die Fachleute ein Jahr lang gearbeitet haben, wurde zudem an alle Bundestagsabgeordneten sowie alle relevanten Ministerien in Bund und Ländern verschickt, so DPG-Präsident Klaus Richter.

Pessimistische Prognosen wurden wahr

Der neue Klimaaufruf enthält eine Warnung, die es in sich hat. Demnach zeigen die Beobachtungsdaten, dass sich die globale Erwärmung erheblich beschleunigt hat. »Die Daten folgen den pessimistischsten Vorhersagen«, sagt Richter. »Das ist schon dramatisch.« Frank Böttcher, DMG-Vorsitzender und Veranstalter des Extremwetterkongresses, spricht von einem »extremen Sprung« und von »Veränderungen in einer Dimension, die wir in der Menschheitsgeschichte noch nicht erlebt haben«. Es könne nicht mehr ausgeschlossen werden, dass bereits um das Jahr 2050 eine Erwärmung um drei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau erreicht werde. »Wir sind zu schnell unterwegs«, sagt Böttcher. »Wir fliegen aus der Klimakurve.«

Ihren Befund, dass die globale Erwärmung in eine Phase der Beschleunigung eingetreten ist, begründen DMG und DPG mit einer Reihe von Beobachtungen. Seit ihrem Klimaaufruf von 1987 und dem ersten Bericht des Weltklimarats IPCC im Jahr 1990 sind die jährlichen CO2-Emissionen um 60 Prozent gestiegen. Jedes weitere halbe Grad an zusätzlicher Erwärmung wurde in immer kürzeren Zeiträumen erreicht. Die zehn wärmsten Jahre seit 1881 traten alle seit dem Jahr 2000 auf. In den Jahren 2023 und 2024 wurde erstmals die 1,5-Grad-Grenze überschritten. Nicht nur bei den Lufttemperaturen zeigen sich neue Höchstwerte, sondern auch bei den Meerestemperaturen.

Gerade der starke Anstieg des Wärmegehalts der Ozeane beunruhigt die Forschenden. »Wir sind jetzt auf einem neuen Niveau, von dem wir nicht sicher sind, ob es ein Ausreißer ist oder ob wir diese extrem hohen Wassertemperaturen behalten werden«, sagt Böttcher. Die Folgen wären weitreichend. Denn bislang nehmen die Ozeane einen großen Teil der Erwärmung und des CO2 auf, wirken also wie ein Puffer. »Doch je höher die Wassertemperatur, desto kleiner wird der Puffer und desto schneller steigen die Temperaturen in der Atmosphäre an.«

Ausmaß der Beschleunigung umstritten

Dass sich die globale Erwärmung beschleunigt hat, ist jedoch bislang noch kein wissenschaftlicher Konsens. Fachleute, die nicht an dem Klimaaufruf beteiligt waren, formulieren deshalb Einwände, vor allem was das Ausmaß der Beschleunigung betrifft, das DMG und DPG für möglich halten. Der Klimaforscher Christian Franzke von der Universität Busan in Südkorea verweist etwa darauf, dass lediglich Daten von nur 15 Jahren herangezogen wurden. »Das ist recht kurz, normalerweise brauchen wir Klimaforscher mindestens 30 Jahre, um sicher über Trends reden zu können«, sagt er. »Andererseits sehen wir keine Anzeichen, dass sich die Erwärmung abschwächt. Von daher können wir 2050 einer Erwärmung von drei Grad Celsius nah sein, da die meisten Länder – auch Deutschland – nicht schnell genug ihre Treibhausgasemissionen auf null reduzieren; eher emittieren wir immer mehr.«

Der Meteorologe Karsten Haustein von der Universität Leipzig hält es für wenig wahrscheinlich, dass die Drei-Grad-Grenze schon bis 2050 überschritten wird. »Der Temperaturanstieg müsste sich auf deutlich über 0,5 Grad pro Dekade erhöhen, was die derzeitige Tendenz von 0,3 Grad pro Dekade nicht hergibt«, sagt er. Doch Anlass für Entwarnung sieht auch Haustein nicht: »Selbst zwei bis 2,5 Grad im Jahr 2050 sind kein Grund zum Zurücklehnen. Ganz im Gegenteil!«

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