Rank 1, Lane 7, Steffen

Britta Steffen schwimmt über 100 Meter Freistil zum Olympiasieg

Auf Bahn 7 hätte Britta Steffen gerne noch einen Moment die Zeit angehalten. Dort, wo normalerweise die Außenseiter eines solchen 100-Meter-Freistil-Finales ihre Bahn ziehen. Sie hatte eben angeschlagen, und das – so viel war ihr klar – wahrscheinlich sogar vor Australiens Weltrekordlerin Lisbeth Trickett, die neben ihr auf der Außenbahn geschwommen war.

So eine Handbreit Vorsprung vor der Nachbarin hat eine Schwimmerin im Gefühl. Aber hatte es für eine Medaille gereicht? Im olympischen Endlauf? Nach den Vorläufen im National Aquatic Centre von Peking hatte die Berlinerin gewusst, dass dieses Feld sehr eng beieinanderliegen würde. Und nun? Besser nicht nach oben auf die Anzeigetafel schauen.

Die 27-Jährige verspürte in diesem Moment Angst vor der Realität. Ihr Atem raste. Mit geschlossenen Augen war sie die erste der beiden Bahnen angegangen, mit gemessenem Kraulzug, in beherrschtem Tempo, so, wie es ihr eigen ist. Als Letzte hatte sie nach 50 Metern gewendet – mit etwas viel Rückstand für seinen Geschmack, sollte ihr Trainer Norbert Warnatzsch später nach dem Rennen sagen. Oder in Zahlen: 0,86 Sekunden hinter der führenden Trickett. Eine ganze Körperlänge.

Doch dann war ihre Zeit gekommen. Zug um Zug schwamm sie an die Konkurrenz heran, Meter um Meter machte sie gut, unerbittlich zog sie Richtung Ziel. Während die Frauen ringsum immer langsamer wurden, ließen Britta Steffens Arme nicht nach. Immer weiter preschte sie voran, und als sie schließlich neben Trickett anschlug, gellten Geschrei und Jubel durch die Riesenhalle.

Nach einem Innehalten, zwei paar Atemzüge lang, drehte sie sich um. Und wagte den Blick auf die Anzeigetafel: RANK 1, LANE 7, STEFFEN BRITTA, GER, 53.12, OR stand dort ganz oben. Britta Steffen lächelte selig. »Gleich werde ich wach« habe sie in jenem Moment gedacht, so beschrieb sie es später. Ja, gleich würde jemand sagen: So aufgewacht, jetzt geht's los zum 100-Meter-Freistil-Finale. »Ich war perplex.« Doch dass dies kein Traum war, sollte sie gleich merken: Die Australierin Trickett, mit vier Hundertsteln Rückstand Zweite, herzte sie nämlich schon im nächsten Moment innig. Britta Steffen war Olympiasiegerin.

Bei der Siegerehrung im gleißenden Fernsehlicht des Aquatic Centre weinten dann beide Erstplatzierte, als sie die Medaillen um den Hals hatten. Die früher von Selbstzweifeln geplagte Britta Steffen in dem Glücksgefühl, mit dem großen Druck fertig geworden zu sein, der auf ihr als einzige Goldhoffnung im Schwimmen gelastet hatte. Die Australierin weinte sogar noch mehr, weil auch ihre Geschichte eine ganz besondere war: Sie war im Halbfinale nur dank der Disqualifikation einer anderen überhaupt in den Endlauf gekommen. Wie schön doch Silber sein könne, freute sich die Olympiasiegerin über 100 Meter Schmetterling, Trickett: »Ich bin so glücklich. Platz zwei ist schließlich etwas anderes als Neunte.«

Sichtlich gerührt war auch Steffens Trainer Norbert Warnatzsch. Was er mit Franziska van Almsick nie erreicht hatte, war ihm nun mit Britta Steffen gelungen: Zum zweiten Mal Olympisches Gold, auf das er lange hatte warten müssen. 28 Jahre ist es her, dass sein Schützling Jörg Woithe 1980 in Moskau für die DDR gewonnen hatte. Auch für ihn hatte sich ein Traum erfüllt. »Ich bin sehr, sehr stolz«, sagte er mit heiserer Stimme.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal