Ko(s)mische Randnotizen

Vor 30 Jahren flog Sigmund Jähn als erster Deutscher ins All

  • Lesedauer: 7 Min.
Am 26. August 1978 startete der NVA-Oberstleutnant Sigmund Jähn gemeinsam mit Waleri Bykowski an Bord des Raumschiffes »Sojus 31« vom sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur zur sowjetischen Raumstation »Salut 6«. Als der gebürtige Vogtländer sieben Tage später in der kasachischen Steppe landete, erwarteten ihn das aktuelle ND und eine neue Rolle als Held. Wie der zugehörige Medienrummel ablief, das hat unser Autor Gerhard Kowalski als Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN vor Ort hautnah erlebt und geschildert.
Sigmund Jähn und Waleri Bykowski nach der Landung, umringt von Journalisten.
Sigmund Jähn und Waleri Bykowski nach der Landung, umringt von Journalisten.

Die Spatzen pfiffen im Frühsommer 1978 republikweit schon von allen Dächern, dass bald ein DDR-Bürger ins All fliegen würde. Immerhin hatten die sozialistischen Länder ihr Interkosmos-Programm verkündet, nach dem schrittweise Vertreter eines jeden Staates mit sowjetischen Raumschiffen die Erde umkreisen sollten. Den Anfang hatte im März Vladimir Remek aus der CSSR gemacht. Die war damit nach der Sowjetunion und den USA auch das dritte Land der Welt, das über einen Raumfahrer verfügte. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis die DDR an der Reihe sein würde.

Doch selbst als das Startdatum für Ende August schon längst feststand, machte die Führung daraus bis zur letzten Sekunde ein Staatsgeheimnis. Ob dabei die Tatsache eine Rolle gespielt hat, dass das SED-Politbüro beleidigt war, weil die DDR nach der CSSR und dann auch noch Polen erst als Dritter an die Reihe kam, weiß ich nicht. Immerhin bezeichnete sich die DDR damals noch als treuesten Verbündeten der UdSSR.

Gemunkelt wurde damals, die Sowjets hätten offenbar ihre »slawischen Brüder« vorgezogen. Zudem habe Moskau sich mit der Nominierung der CSSR auf Platz eins »indirekt« für die Niederschlagung des Prager Frühlings »entschuldigen« wollen. Ich habe Remek im Mai am Rande der 11. Raumfahrttage in Morgenröthe-Rautenkranz, die dem 30. Jahrestag seines Fluges gewidmet waren, gefragt, was er von der Variante halte. Das sei »absurd«, lautete seine Antwort. »Ich bezweifele, dass das KPdSU-Politbüro überhaupt nachgedacht hat, und wenn ja, dann sicher über alles andere, aber nicht über eine Entschuldigung.«

Ende Mai 1978 gehörte ich als ADN-Vertreter zu einem ganz kleinen Kreis Journalisten, die mit der Vorbereitung der Berichterstattung über den DDR-Flug betraut wurden. Wir wurden vergattert und bekamen eine »Argu« mit auf den Weg. Darin hieß es, der Flug sei ein »historisches Ereignis von hoher politischer und wissenschaftlicher Bedeutung« in Vorbereitung auf den 30. Jahrestag der DDR. Der »erste Deutsche im All« sei ein »Bürger der DDR« – lautete die Sprachregelung, die dann auch unisono von allen Medien übernommen wurde. Und natürlich sei das Weltraumunternehmen »Ausdruck der brüderlichen Verbundenheit und unverbrüchlichen Freundschaft und Waffenbrüderschaft mit der UdSSR« sowie ein »Sieg im Wettbewerb mit der kapitalistischen BRD auf diesem Gebiet«.

Der Kosmonaut sollte offiziell kein Opa sein

Die rund je 40 Seiten Texte, die ich nach Besuchen bei den Eltern, in den NVA-Einheiten, ehemaligen Betrieben und anderen Wirkungsstätten beider Kandidaten – Sigmund Jähn und Eberhard Köllner – verfasst habe, musste ich bei der Pressestelle des Verteidigungsministeriums abliefern. Dazu gehörte übrigens auch die Startreportage, die ich also »vorempfinden« musste. Glücklicherweise konnte ich auf meine Erfahrungen vom sowjetisch-amerikanischen Sojus-Apollo-Test-Projekt im Jahre 1975 zurückgreifen und brauchte mir so nicht allzu viel aus den Fingern zu saugen. Die Namen der Kandidaten durften in den Texten nicht auftauchen. Für Sigmund Jähn stand da immer nur ein A, für Eberhard Köllner ein B. Auch den wahren Grund für mein Erscheinen durfte ich den Gesprächspartnern nicht nennen. Die offizielle Legende lautete, ich sammle Material über die beiden, da sie zum 30. Jahrestag der DDR ausgezeichnet werden sollten.

Die meisten machten das Spielchen augenzwinkernd mit, andere fühlten sich als Träger eines wichtigen Staatsgeheimnisses geehrt. Es gab aber auch solche, die unverblümt Klartext redeten und mir wie ein ehemaliger Kollege von Eberhard Köllner in einer privaten Schlosserei mitten ins Gesicht sagten: »Der Ebs wird nur Double, das weiß ich aus ganz sicherer Quelle.« Er könne schon wegen seines Namens nicht fliegen, weil es dann in der Presse heiße, der erste Kosmonaut der DDR sei ein Köl(l)ner, fügte er schmunzelnd hinzu.

Dieses Spielchen mit der Geheimniskrämerei wurde während der ganzen einwöchigen Mission und auch später bis zur Wende weiter getrieben. So durften die DDR-Journalisten nicht berichten, dass Jähn kurz vor seinem Flug zum ersten Mal Großvater geworden war. Offenbar passte den Oberen ein Opa nicht ins Heldenbild. Sie konnten allerdings nicht verhindern, dass Jähn noch an der Landestelle erste Fotos seines Enkels geschenkt bekam. Den Blick des stolzen Opas werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen! Ironie der deutsch-deutschen Geschichte: Eben dieser erste Enkel Jähns dient inzwischen im Range eines Hauptmanns bei der Bundeswehr. Der frühere NVA-Generalsrang des Opas hat ihm also nicht geschadet.

Aber auch die sowjetische Seite betrieb direkt und indirekt Pressezensur. Am schlimmsten betroffen davon waren die Fotografen Klaus Franke von ADN und Dr. Gerhard Murza vom »Neuen Deutschland«. Sie bekamen von einem KGB-Mann immer nur einen Film ausgehändigt. Erst wenn der belichtet abgegeben war, bekam man einen neuen. Die Entwicklung der Filme erfolgte in einem Speziallabor in Baikonur und abends wurden im Hotel die Negative übergeben. Meistens war zur grenzenlosen Enttäuschung der Fotografen nur ein Bild pro Film übriggeblieben.

Falsche Fahne bei der Begrüßung am Boden

So verschwanden viele höchst informative oder auch nur amüsante Motive auf Nimmerwiedersehen im Orkus der Wachsamkeit – etwa wie ein Mitglied der Bergungsmannschaft dem starken Raucher Waleri Bykowski unmittelbar nach der Landung eine brennende Zigarette in den Mund steckte und Sigmund Jähn, sichtlich benommen, das falsche Landedatum an die rußgeschwärzte Kapsel schrieb, so dass die gesamte Foto-Session wiederholt werden musste.

Auch die Bilder von einem hochnotpeinlichen Zwischenfall fielen der Zensur zum Opfer: Die Kasachen, in deren Steppe die Raumschiffe bis heute zur Erde zurückkommen, hatten kurzeitig zur Begrüßung von Bykowski und Jähn über der Ehrentribune in Dsheskasgan statt der DDR-Fahne mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz die bundesdeutsche Flagge gehisst. Nach einer Schrecksekunde wurde sie aber wieder eingeholt. Für den Fall der Fälle hatte der Leiter der DDR-Journalistentruppe, Oberst Eberhard Cartsburg vom Verteidigungsministerium, immer eine DDR-Fahne und eine Schallplatte mit der Nationalhymne dabei.

Nach der Wende und dem Zerfall der UdSSR verrieten Jähn und Bykowski weitere Details ihres Fluges, die bis dato vor der Öffentlichkeit verschwiegen wurden. So gab es nach der Ankopplung ihres Raumschiffes »Sojus 31« an die Raumstation »Salut 6« einen höchst dramatischen Moment, in dem es schien, als würde die gesamte Mission scheitern. Denn die Luke zwischen beiden Raumflugkörpern ließ sich nicht normal öffnen. Erst das unkonventionelle Eingreifen Bykowskis rettete die Situation. Er traktierte die Luke so lange kräftig mit den Füßen, bis diese aufging. Nicht auszudenken, wenn die Männer nicht in die Raumstation hätten umsteigen können!

Und dann war da noch der Zwischenfall bei der Landung, den auch meine Kollegen und ich nicht bemerkt hatten, obwohl wir unmittelbare Augenzeugen waren. Weil Kommandant Bykowski den Hauptfallschirm nicht rechtzeitig ausklinken konnte, wurde das Raumschiff vom Wind durch die Steppe geschleift. Es überschlug sich dabei dreimal, wobei sich Sigmund Jähn eine bleibende Rückenverletzung zuzog. Den Journalisten, die in Hubschraubern direkt über der Landestelle kreisten, entging dieser dramatische Moment, weil das Raumschiff in eine dichte Staubwolke gehüllt war.

Erst nach der Wende berichtete Jähn von dem Missgeschick und davon, dass ihm Bundeswehrärzte seine Behinderung aberkannt haben. Diese Fehlentscheidung ist inzwischen korrigiert worden, und der Kosmonaut bekommt deshalb eine kleine Invalidenrente zu seiner normalen Altersrente, die alles andere als üppig ausfällt.

Heute ist Sigmund Jähn, der nach der Wende bis zu seiner Pensionierung als Berater für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Europäische Weltraumorganisation ESA tätig war, der anerkannte und hoch geachtete Doyen der inzwischen zehn deutschen Raumfahrer. Ihm ist es auch maßgeblich zu verdanken, dass sein Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz heute eines der bedeutendsten Raumfahrtmuseen Europas beherbergt und alljährlich Treffpunkt der Raumfahrerelite aus der ganzen Welt ist. Darüber hinaus vermittelt der erste Deutsche im All auf zahlreichen Veranstaltungen seine Erfahrungen und versucht auf diese Weise, die Jugend für die Raumfahrt und die moderne Technik überhaupt zu begeistern.

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