Zwei Werber

Büttner und von Bülow: 80 und 85

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer seinen Geburtstag am zwölften November hat, einen Tag nach dem »Elftenelften«, und wer dann auch noch deutscher Humorist wird – der darf ein widerständischer Mensch genannt werden. Denn: Sich dem Karnevalsbeginn natal zu entziehen, ist ein subversiver Akt gegen die Grundphilosophie des Faschings: Leute finden sich immer erst dann komisch, wenn sie nicht mehr sie selber sind; wer im Fasching lacht, zeigt nicht Fröhlichkeit, sondern Gehorsam.

Dagegen sehr allein anzuleben, ist schwer. Also schuf das Schicksal den Solidarpakt und verdoppelte den Widerstand: Der 12. November ist nicht nur der Geburtstag von Bülows, sondern auch Büttners. Aber natürlich ist allzu viel Witz auf einmal ungesund für Deutschland, also setzte die Schöpfung einen kleinen Abstand: Der große Loriot wird heute schon fünfundachtzig, der nicht minder große Henry Büttner erst achtzig.

Vicco von Bülow, der sich nach dem Wappentier seiner bis zurück ins 12. Jahrhundert nachweisbaren Familie »Loriot« (Pirol) nannte, ist Zeichner und Autor, Schauspieler und Dirigent, Film-, Fernseh- und Opernregisseur. Ein Wahlbayer aus Brandenburg. Wie mit den Jahren aus dem Cartoon die Bildergeschichte und der Trickfilm hervortrieben, wie sich die schlichte Unterzeile irgendwann zu Dialog und Szene auswuchs, wie der zeichnende Schöpfer eines »Taschentheaters« (Wilhelm Busch) sich selber zum leibhaftigen Darsteller, Inszenator, Evelyn-Hamann-Finder entwickelte, zum Ausstatter obendrein – das wirkt im Nachhinein derart folgerichtig, dass man darüber leicht vergisst, wie viele Brüche Loriot riskiert hat, wie viel Neuland er immer wieder mit dieser Risikolust betrat.

Den eigentlichen Faden der menschlichen Geschichte hat er ins Bild gerückt, die Nudel. Deren langer Weg von der Lippe über die Nase zum Auge: Fausts Weg vom Himmel durch die Welt zur Hölle ist nicht weltergreifender. Die Suppe, die der Mensch auszulöffeln hat, das ist gleichsam der Kosakenzipfel oder der Jäger im Reisrand. Und der Versuch, ein Bild an der Wand aus seiner leichten, kaum merklichen Schieflage zu befreien, was ganz logisch mit einem Zimmerweltzusammenbruch endet – ein Untergang, dessen komischer Kern jener Mensch ist, der Haltung bewahrt. Dessen Weigerung, die gute Ordnung aufzugeben, ist frei, und kraft dieser Freiheit vollzieht er die Kehre gegen die Ordnung – als eine Hinwendung zum Eigensinn, die ihn freilich im Wesen erschüttert.

Am Ende aller Geschichten und Sketche strahlen Loriots Menschen, selbst wenn sie das Jodeldiplom haben, große Ratlosigkeit aus: Sie wissen nicht, mit welchen Kompetenzen sie ausgestattet sein müssten, um der Verzweiflung keine weiteren Gründe zu liefern. Und diese Gründe beginnen schon dort, wo sich dem Menschen der Mensch nähert. Das ist beim Karikaturisten Büttner nicht anders. Dessen Badender am Strand des gewaltigen Meeres zeigt enttäuscht auf einen fernen Punkt im Wasser, und er wird wohl umkehren, denn: »Schade, es ist schon jemand drin.« Böser als die Tücke des Objekts ist die Tücke des Subjekts, mit dem man Ort und Zeit teilt.

Beim Zeichner aus dem Erzgebirge, der sein Leben lang panische Angst vor verstopften Abflussrohren und Familienfeiern hatte, steigt das Tragikomische der Figuren aus der Provokation durchs Konservative: Anzug, Schlips, Hosenträger; alles Gestreifte und Geblümte wirft sich in ein vergebliches Gefecht. Gern bringt dieser zeichnende Nachfahr des Karl Valentin den Körper des Menschen in Widerspruch zu sehr seltsamen Gedanken, die in Köpfen unter meist runden Hüten kreisen. Büttners und Loriots Gerechtigkeitsgefühl umarmt dabei den Don Quichotte ebenso wie die Windmühlenflügel. Mit dem kostbaren Phlegma der Narretei interessiert Büttner zum Beispiel am Sport derjenige, der kurz vorm Zielband abdreht. Und die Ehe gerät zum lebenslangen Zweikampf, mit bösen Vorteilen für SIE, mit unverhohlener Sympathie für IHN. Muss man erwähnen, dass Büttner genauer Kenner der Werke von Thomas Mann und Fjodor Dostojewski ist, Loriot ein Liebhaber Wagners? Wer könnte sonst eines der größten Dramen (»Das Frühstücksei«) mit dem einschneidenden Satz »Das Ei ist hart« eröffnen?

Loriots Knollennasen, der verwirrte Lotto-Millionär Lindemann, »Ödipussi«: genau kalkulierter Verstandeswitz, der aus einer einzigen Utopie entsteht – die Welt wäre am schönsten, wäre sie ereignislos. Die Welt ist aber nicht ereignislos, just dies treibt in die Tragödie. Bei Loriot gipfelt diese Tragödie des Aufgestörtseins im Satz »Ich möchte einfach hier sitzen«, in einem weiteren der Ehedramen so inständig zu IHR hingefleht, dass Hamlets Sterbenswunsch »Schlafen! Schlafen!« nicht zehrender ans Herz gehen kann.

Büttner und Loriot waren beide in ihrer frühen Zeit Gebrauchswerber. Dann wurden sie Werber dafür, das Lachen zu gebrauchen. Und ihre Arbeit ist nie ein Witz gewesen, sondern hartes Mühen. Wenn eine Arbeit Spaß macht, ist sie keine, sagte Heiner Müller.

Diese beiden Geburtstage sind im geschichtsschweren deutschen Monat November zwei tröstlich heitere Geschehnisse.

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