Angst vorm Wolf nimmt zu

In der Oberlausitz fürchten Jäger und Landwirte, die Tiere könnten ihre Scheu vor dem Menschen verlieren

  • Harald Lachmann, Bautzen
  • Lesedauer: 5 Min.

Es war nicht das erste Mal, dass die Wölfe Haustiere rissen. Zuletzt nahm ihre Lust auf die leichte Beute sogar zu. Gut zehn Mal meldeten seit Jahresbeginn Viehhalter den Verlust von Schafen. Selbst 90 Zentimeter hohe Elektrozäune schrecken die Räuber nicht mehr. Bisher wagten sie sich aber nur an abgelegene Pferche. Doch als nun Mitte August hungrige Wölfe in Halbendorf bei Bautzen zum Nachtmahl erschienen, näherten sie sich auch ungewöhnlich dicht den Wohnhäusern. Zudem hinterließen sie ein Blutbad: vier getötete Mutterschafe, zwei verletzte Lämmer, die notgeschlachtet werden mussten. Weitere fünf Tiere vermisst der Halter vorerst noch.

Sofort kamen sie wieder hoch, die Geschichten, die seit ein, zwei Jahren durch die Lausitz geistern. Etwa die von einem Wolf, der eine Reiterin verfolgte und sich auch durch Drohgebärden nicht abschütteln ließ. Oder jene von der Frau, die nachts im Scheinwerferlicht vor ihrem Hof einen Wolf sah. Ein andermal sollen zwei Wölfe einen Hund vor dessen Zwinger belagert haben.

Auch in Halbendorf wollte der Dorfklatsch am nächsten Morgen wissen, dass die Wölfe noch mitten im Ort ein Schaf anfielen, das sich in ein Buswartehäuschen geflüchtet hatte. Wolfsfreunde wie André Klingenberger haben es angesichts solcher Stimmung nicht leicht. Der 27-jährige Forstingenieur arbeitet seit April als erster staatlicher Wolfsmanager Sachsens. Sein Job ist es, aufkochende Emotionen abzukühlen und Misstrauen gegen die seit Urzeiten verfemten Raubtiere abzubauen. So schaute er sich auch das Bushäuschen sehr genau an. Dann gab er Entwarnung: Sicher gebe es da einen Blutfleck, meint er, aber keine weiteren Spuren von einem Schaf, etwa Wollreste. Mithin sei es »unklar, wie das Blut dorthin kam«. Im Übrigen seien die gerissenen Tiere nicht durch einen Zaun geschützt gewesen, rügt Klingenberger. Dabei beteilige sich Sachsen sogar an den Kosten für derartige Einfriedungen. Für Ende August organisierte der Wolfsmanager sogar eine Informationsveranstaltung im Dorf.

Dass diese nötig ist, beweist zugleich, dass sich die Lausitzer Wölfe offenbar weiter ausbreiten. Seit etwa zehn Jahren sind sie in Sachsen heimisch. Ursprünglich hatten sie ihre Reviere nahe dem Truppenübungsplatz Oberlausitz bei Weißwasser. Drei Rudel registrierten Tierschützer bereits, insgesamt gut 20 Tiere. Doch in allen wurde erneut Nachwuchs erwartet. Der ist jetzt da, so dass die Elterntiere ihre Jährlinge, also die Welpen des Vorjahres, weggebissen haben. Womöglich war das der Grundstock für ein viertes Rudel.

Forstbiologin Jana Schellenberg, die in Rietschen bei Görlitz das Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz leitet, unterteilt die vier Gruppen nach den Orten, in deren Nähe sie leben. Vom Nochtener Rudel weiß sie, dass es acht Welpen gibt. Ein Wolfsschützer habe sie bereits filmen können. Auch beim Neustädter Rudel belegten Spuren die Niederkunft der Wölfin. Beim Daubitzer Rudel und bei der neuen Population, die sie das Milkeler Rudel taufte, stehe der Nachweis noch aus. Ein fünftel Rudel, das sich weiter nördlich in der südbrandenburgischen Zschornauer Heide aufhält, blieb wohl kinderlos.

Den sächsischen wie brandenburgischen Jägern und Viehhaltern behagt die wachsende Wolfsdichte indes nicht. Dabei werden die Landwirte für Wolfsrisse entschädigt. Doch nicht jedes der 30 seit Januar tot gebissenen Schafe oder Ziegen erlag offenbar Wolfszähnen. »In gut der Hälfte der Fälle sind die Bissverletzungen nicht eindeutig einem Wolf zuzuordnen«, versichert Jana Schellenberg.

Dennoch sind die Schafhalter dringend angehalten, ihre Elektrozäune noch durch Flatterbänder zu ergänzen. Denn der Wolf lerne schnell, könne bereits mit aufgeladenen Drähten umgehen, weiß die Expertin. Aber trotz der Zuschüsse, die sie dafür erhalten, sind manche Schäfer sauer. Es wäre halt ein gewaltiger Aufwand, beim Umkoppeln großer Herden stets aufs Neue am Zaun auch noch das Flatterband wieder anzubringen, so ein Landwirt, der immerhin 630 Mutterschafe betreut.

Die Jäger sehen den Wolf hingegen schlicht als Konkurrenz. Aus ihrer Sicht dezimierte er bereits stark das Muffel- und Schalenwild in der Oberlausitz. Dennoch dürfen sie sich nicht auf ihn anlegen, denn Isegrim ist europaweit streng geschützt. So gründeten einige Wolfgegner einen eigenen Verein. Der nennt sich Sicherheit und Artenschutz e. V., dient im Grunde aber nur einem Ziel: Den Wölfen Paroli bieten.

Ihr Chef, der Unternehmer Christian Lissina aus Groß Dubrau, glaubt auch nicht, dass die Wölfe aus Polen eingewandert sind. Denn Westpolen sei im Grunde wolfsfrei. Er orakelt, es könne sich um Mischlinge aus Wolf und Hund handeln, wie sie die Sowjets einst als Wachen für ihre Kasernen züchteten. Bei ihrem Abzug hätte man sie halt freigelassen. Zudem geht Lissina statt von 20 von »bis zu 70 Wölfen« in der Region aus. »In Finnland oder Russland«, rügt der 53-jährige, »kommt auf 1000 Quadratkilometer ein Wolf. Hier leben auf 600 Quadratkilometern schon Dutzende.« Das müsse schief gehen, zumal die Wölfe nicht gejagt werden dürften und so ihre Scheu vor dem Menschen verlören.

Dass es sich in der Lausitz um reinrassige Wölfe handelt, scheint indes bewiesen. Forscher aus Görlitz und dem polnischen Krakau wiesen nach der Analyse von 126 Kotproben unlängst eine klare genetische Verwandtschaft zu nordostpolnischen Wölfen nach. Im Nachbarland leben derzeit rund 500 Isegrime.

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