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- Rosa Luxemburg-Stiftung will sich ein neues Design und Profil geben
Alltag einer Stiftung
Notizen von einer Arbeitswoche der »Luxemburger« in Berlin
Die Woche fängt mit Dienstag an. Hieß ein polnischer Spielfilm. Dies gilt in der Stiftung nicht, die den Namen der in Zamosc geborenen polnisch-deutschen Theoretikerin und Revolutionärin trägt. Am Montag sind fast alle Mitarbeiter an ihren Schreibtischen, bis auf zwei Chefs, die sich gerade in Lateinamerika respektive China aufhalten. Veranstaltungen sind an diesem Montag ausnahmsweise nicht. So führt der erste Gang ins Archiv und – wer A sagt, muss auch B sagen – in die Bibliothek. Jochen Weichold ist Herr der Akten und Bücher. Das von ihm und Kolleginnen betreute Archiv Demokratischer Sozialismus, 1999 gegründet, will das Gedächtnis sozialistischer Kräfte seit 1990 sein. 685 laufende Meter Dokumente haben sich bereits angesammelt, großteils Unterlagen der Vorstände und parlamentarischen Fraktionen der PDS. Auf die Frage nach Schätzen, streckt sich Weichold und holt vom obersten Regal einen Karton herunter, öffnet ihn ehrfurchtsvoll: Darin befindet sich Rosa Luxemburgs »Akkumulation des Kapitals«, 1921 in Leipzig gedruckt und vom Zahn der Zeit stark angeknabbert.
Die jüngeren Rosa-L.-Editionen, deutsche und fremdsprachige, füllen mehrere Regale. Etwas grimmig (neidisch?) blickt Franz Mehring drein. Seine Büste steht auf dem Boden in einer Ecke des Benutzerraums. Gerettet aus der abgewickelten Archivschule seines Namens in Potsdam, wie Christine Gohsmann informiert. Weichold will sein Magazin im Erdgeschoss zeigen, »mit ganz modernen Fahrregalen«. Christa Luft, Wirtschaftsministerin in der Modrow-Regierung und Mitglied des im Frühsommer aufgelösten Kuratoriums der RLS, das einem noch zu gründenden Beirat weichen musste, kommt aus einem Technikraum. »Hallo.« – »Hallo.«
Das Magazin ist verschlossen. Wo ist der Schlüssel? Im Vestibül kreuzen sich die Wege mit Schütrumpf, Leiter des Karl Dietz Verlages, der seit 2007 zur RLS gehört. Der Verleger zieht ein gelbes Wägelchen hinter sich her. Er hat Professor Klein im Schlepptau, nicht in persona, sondern mit noch eingeschweißten Exemplaren seines neuen Buches »Krisenkapitalismus. Wohin es geht, wenn es so weitergeht« – erster Band der neuen Reihe »einundzwanzig« der Zukunftskommission (die sogar »Zukünfte« visionieren will). Wohin des Wegs? Schütrumpf brummt: »Die müssen geschreddert werden, falscher Druck, das geht zurück.« Am Dienstag ist Buchpremiere. Werden Exemplare vorrätig sein? »Ja. Ein Viertel der Auflage ist o.k.«
Der Dienstag gehört den Frauen und Finanzen (ja, das geht zusammen). Peter Brandt und Katja Kipping diskutieren mit Dieter Klein über die Chance emanzipatorischen Ausbruchs aus der Rezession. Und Thomas Kuczynski fragt andernorts in einer mit dem Deutschen Friedensrat getragenen Debatte: »Kann Friedensarbeit die Finanzkrise beeinflussen?« Ja.
Dem Internationalen Aktionstag »Nein zu Gewalt an Frauen« am Dienstag ist selbstredend auch eine Veranstaltung gewidmet. Zirka die Hälfte der RLS-Mitarbeiter sind weiblich. Und sie bevorzugen offene Türen. Dagmar Rubisch und Ann-Katrin Lebuhn sitzen in einem Zimmer vis-a-vis, beackern aber verschiedene Gebiete. Sie unterbrechen freundlicherweise ihre Arbeit und beantworten bereitwillig neugierige Fragen. Dagmar Rubisch macht in antikapitalistische und antifaschistische Kultur. Dazu gehörten in diesem Jahr u. a. eine Lesung des »Kommunistischen Manifests« mit Rolf Becker, eine Filmvorführung über Aufbruch und Abbruch im Osten Deutschlands sowie ein Spaziergang durch Berlin auf den Spuren der Novemberrevolution. Ann-Katrin Lebuhn befasst sich mit Nachhaltigkeit. Der Nachfrage folgt ein nachhaltiger Kurzvortrag: »Meiner Kollegin Sabine Nuss und mir geht es darum, die Zusammenhänge gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu vermitteln. Wir wollen dem Mainstream eine linke Sicht auf Klimawandel, Biotechnologien, erschöpfte Naturressourcen etc. entgegensetzen.« Die RLS hatte dieses Jahr Kleinbäuerinnen aus Mali, Mexiko und Chile zu Gast, die internationalen Saatguthandel und unfairen Patentschutz beklagten.
Für den Mittwoch ist Bildung angesagt. Mittlerweile ist Michael Brie, Leiter des Bereichs Politikanalyse, aus China zurück und als aufmerksamer Zuhörer im Seminarraum 3 anzutreffen. Er lauscht dem Referat von Zhang Xingua. Nein, die beiden Professoren kamen nicht mit dem gleichen Flug, wird mir beschieden. Zhang Xingua von der Gesellschaftswissenschaftlichen Akademie Shanghai (so etwas gibt es noch im Fernen Osten!) informiert über die Wandlung seiner Stadt zur Metropolis der Global Player, was mit Identitätsverlust, kultureller Mutation und sozialer Polarisation einher geht. Die Metropole Berlin soll am Wochenende im Fokus einer RLS-Konferenz stehen: ökonomischer, fiskalischer, kultureller Umbau und soziale Konflikte in der deutschen Hauptstadt.
Nicht nur Berlin ist eine Stadt der »Besprisorniki« (verwahrloste Kinder). Angesichts täglicher Meldungen über vernachlässigte und misshandelte Kinder, Koma-Trinker und Gewalt auf Schulhöfen entdecken die Pädagogen und Psychologen, die sich jeden letzten Mittwoch im Monat in der siebten Etage des Hauses treffen, Anton S. Makarenko wieder. Die Idee humanistischer Gemeinschaftserziehung ausgestoßener oder die Gesellschaft fliehender Kinder und Jugendlicher einte den ukrainischen Reformpädagogen mit Harald Rasmussen in Bogholt bei Kopenhagen und Pfarrer Dietrich Lauter in Ludwigshafen. Professor Werner Naumann referiert. Und Kollege Horst Weiß lässt ND wissen, man wolle »Anregungen für eine bessere wissenschaftliche Fundierung programmatischer Forderungen der LINKEN auf dem Feld der Bildungspolitik« geben.
Donnerstag: Der erste Versuch, den Verantwortlichen für das JugendbildungsNetzwerk bei der RLS zu sprechen, scheitert. Ronald Höhner ist im Stress. Durch die geschlossene Zimmertür dringt sein kräftiges Organ: »Die Welt funktioniert nicht so, wie du es dir vorstellst. Nein. Außerdem ist das nicht mein Geld, sondern Stiftungsgeld ...« Das Telefonat mit einem Nicht-Verstehen-Wollenden dauert. Da könnte man ja mal bei Erhard Crome in der fünften Etage vorbeischauen. Der Mann war bei allen Weltsozialforen dabei, außer den ersten beiden. Nach Belem nächstes Jahr wird er nicht reisen, auf Rat seines Arztes. Er druckt Material in Englisch aus, das die Stiftungsarbeit global bezeugt.
Der zweite Anlauf wird belohnt. Ein auskunftsfreudiger Höhner berichtet stolz über bereits gelungene Vernetzung linker Jugendgruppen gegen Rechtsradikalismus und Resignation. »Der Gedankenaustausch ist sehr wichtig.« Und deshalb treffen sich Aktivisten, »die mehr wollen als Jugendfeuerwehr und Ortsfußball«, am Nikolaustag in Werftpfuhl.
Am Freitag ist auch Heinz Vietze, Vorstandsvorsitzender, wieder im Haus – er hatte auf Kuba, in Mexiko und Nikaragua Gespräche mit Partnern geführt. Für den Tag ist Vorstandssitzung anberaumt. Es wird, wie die Geschäftsführende, Evelin Wittich, dem ND vorab verrät, das neue »Corporate Design« präsentiert. Was ist das? »Ein neues Farb- und Gestaltungskonzept soll dafür sorgen, dass die Stiftung noch einheitlicher erscheint und sich deutlicher von anderen abhebt.« Ein Muster ist zu bewundern. ND ist irritiert: Die Farbe Rot ist abgewählt? Knalliges Orange. Vietze schreitet ein. Nein. Und präsentiert Probeaufnahmen: »Genau hinschauen. Da sind Farbnuancen, von Rot bis Orange.« Apfelsinenfarben war die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit.
Die Stiftung schlüpft nicht nur in ein neues Gewand, sie stellt sich auch neuen Aufgaben und strukturiert sich neu. Im kommenden Wahl- und Jubiläumsjahr will sie »die bestimmenden gesellschaftlichen Diskussionen aktuell und perspektivisch aufspüren, bearbeiten und als Angebote von links in der öffentlichen Diskussion platzieren«, sagt Evelin Wittich, die seit Anbeginn in der RLS arbeitet. Wie auch Brie, dessen Bereich geadelt wird: zum Institut für Gesellschaftsanalyse. Vietze nennt es »eine wichtige Säule«. Hauptaufgabe des Instituts soll sozialistische Transformationsforschung sein, methodologische Basis die kritische Sozalforschung in den Traditionen des Marxismus, Feminismus und der Kritischen Theorie.
Neuerungen in Folge der Fusion von PDS und WASG, die der Archivar »Quellorganisationen« nennt. Die Neuen kommen aus dem Westen, wie Thomas Händel, ein Vize von Vietze und Mitbegründer der ASG (als Vorläufer der WASG ein Urquell). Der Nürnberger wünscht sich eine Stiftungsarbeit, »die Ost- und Westlinke zu einer gemeinsamen Sprache führt, aus der Geschichte der Bewegung schöpft und Alternativen zum neoliberalen Politik- und Gesellschaftsverständnis entwickelt«. Dies verlangt gewiss noch einige arbeitsreiche Wochen.
Kurzporträt
Die RLS wurde 1992 von der PDS als parteinahe Stiftung anerkannt und ist heute als Stiftung der LINKEN bundesweit aktiv.
Aufgaben:
- politische Bildung vermitteln; die Etablierung einer Akademie für politische Bildung soll die Stiftungsarbeit auf diesem Gebiet stärken;
- kritische Kapitalismusanalysen erstellen und gesellschaftliche Alternativen entwickeln, was ebenfalls ein neues Institut fördern soll;
- den Dialog linkssozialistischer Kräfte und sozialer Bewegungen in Deutschland und weltweit unterstützen;
- junge Intellektuelle mit Studien- und Promotionsstipendien fördern;
- Impulse für zivilgesellschaftliche Aktivitäten geben.
Publikationen:
- Bucheditionen im Karl Dietz Verlag unter dem Rubrum »Manuskripte«, »Schriften«, »Texte« und »einundzwanzig«
- Zeitschriften: »RosaLux« und »prager frühling«
- Diskussionspapiere: »Standpunkte« und »kontrovers«
Auslandsbüros:
in Moskau, Warschau, Johannesburg, Sao Paulo, Mexiko City und Ramallah; kurz vor Eröffnung stehen Büros in Peking, Hanoi, Tel Aviv, Brüssel.
Die RLS hat 110 Mitarbeiter im In- und Ausland.
»Ich glaube, dass die Linkspartei einen ganz guten Think-Tank hat in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und im Umfeld darum.«
Parteienforscher Franz Walter, 2005
UTOPIE kreativ
Sie war de facto das theoretische Organ der Partei, die Monatszeitschrift »Utopie kreativ«. Im September 1990 ins Leben gerufen, haucht sie jetzt, zu Jahresende, mit Heft 218 ihr Leben aus. Das Verdikt über dieses publizistische Forum zur »Diskussion sozialistischer Alternativen«, wie die Unterzeile den Anspruch artikulierte, fiel auf einer Vorstandssitzung der RLS, die als Herausgeberin fungierte. Im »Editorial« des letzten Heftes würdigt Vorstandsvorsitzender Heinz Vietze die Verdienste der Verblichenen: »Keine Zeitschrift der neuen großen Republik hat nach 1989 so konsequent gegen das vorgebliche ›Ende der Utopien‹ angeschrieben, mit der ein triumphierender Liberalismus einen neuen Weltkapitalismus festschreiben wollte.«
Im Frühjahr war die ehrenamtliche Redaktion aus Protest zurückgetreten. Streipunkt war die Besetzung einer Sachbearbeiterstelle. Im Sommer soll eine neue Zeitschrift mit neuem Namen erscheinen. Den Neuanfang begründet Vietze: »Die Linke hat sich verändert. Die Erwartungen an eine wissenschaftlich-politische Zeitschrift steigen.« Redaktionsassistenz Harry Adler nannte ND als weitere Gründe stagnierende Abozahlen und zu wenig junge Leser. Vom alten Redaktionsteam kommentierte Wolfram Adolphi den Vorgang mit den Worten: »Dies ist die Ersetzung der Zeitschrift von unten durch eine von oben.« ves
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