Neunzehnhundertachtzehn

Zeitgeschichte im Bühnengewand – Revolutionstanz in Kiel am 7. 12.

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 2 Min.

Der in Heide ansässige Boyens-Verlag zeigt sich künstlerisch mutig und hat jetzt in seinem Sortiment eine Neuveröffentlichung zur November-Revolution vor 90 Jahren aufgenommen, die historische Puristen nicht zufrieden stellen dürfte, wird in dem Werk »1918 – Revolution in Kiel« doch der Spagat zwischen zeitgeschichtlicher Würdigung der Fakten und einer zum Teil mit Fiktion angereicherten dramaturgischen Bühnenaufarbeitung vorgenommen. Am 7. Dezember kommt es durch das Theater Kiel in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt zur Aufführung des Stücks »Neunzehnachtzehn«.

Das Duo Robert Habeck und Andrea Paluch – er ist übrigens Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Schleswig-Holstein – hat die sich innerhalb kürzester Zeit überschlagenden Kieler Ereignisse aus den ersten Novembertagen 1918 dramaturgisch zusammengefasst und mit zum Teil spritzigen Dialogen versehen. Das Bühnen-Update weicht dabei bewusst vom Original oder von der überlieferten Historie ab und hebt sich auch von der Ernst Toller-Inszenierung aus dem Jahr 1930 »Feuer aus den Kesseln« ab.

Marcus Grube, Schauspiel-Chef am Theater Kiel, gibt in seinem Nachwort bereits sein Urteil zu dem neuerlichen Unterfangen ab: »Die Ereignisse in Kiel im Jahre 1918 auf der Bühne darzustellen, ist ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.« Und doch stellt er sich mit seinem Ensemble dieser Aufgabe, bieten die 27 Szenen doch einen lebendigen Einblick in turbulente Tage, wobei es Habeck/Paluch auf 52 Seiten gelingt, die maßgeblichen Protagonisten recht konkret zu charakterisieren und sie zu umjubelten wie tragischen Helden werden zu lassen.

Mit einem Vater-Tochter-Tanz startet das erste Bild in einem emotionalen Familienidyll, und das Werk endet mit einer offenen Frage von ein und derselben Hauptdarstellerin an ihren heißblütigen Revolutionär und Verlobten. Der erste Teil des Buches zeigt sich dagegen weit davon entfernt, auf eine exemplarische wenn auch kurzweilige Liebesaffäre während der geschichtsschreibenden Umwälzungen einzugehen. Lagebilder, Truppenbefehle, Demonstrationsaufrufe, Resolutionen und Zeitungskommentare, werden in Kalenderform aneinandergereiht. Das ist nicht Pulitzerpreisverdächtig, umgekehrt macht es den verfassenden Kulturgeschichtler Frank Trende unangreifbar.

Zeitgenössische Fotos illustrieren ein Buchdokument, das den Eindruck aufkommen lässt, dass es sich im Gegensatz zum aufregenden Matrosenaufstand von Kiel beim monarchistisch regierten Berlin um einen Hort der Langeweile gehandelt haben muss. Dies Stückchen Lokalpatriotismus darf man den Autoren aber zugestehen.

Robert Habeck/Andrea Paluch/ Frank Trende: 1918 – Revolution in Kiel. Boyens-Buchverlag. 152 S., geb., 12,90 EUR.

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