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  • Leipziger »Holländer«-Inszenierung

Respekt den Meistern

Was gilt das Werk? Was darf Regie? – An der Leipziger »Holländer«-Inszenierung scheiden sich weiter die Geister

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Meer aus Papphochhäusern. Holländer James Johnson (links) warf nach der Premiere das Handtuch.
Ein Meer aus Papphochhäusern. Holländer James Johnson (links) warf nach der Premiere das Handtuch.

In den Diskussionen um die Leipziger Neuinszenierung von Richard Wagners romantischer Oper »Der fliegende Holländer« geht es nicht darum, dass keine Schiffe zu sehen sind. Es geht darum, dass die Stückaussage mit nicht dazugehörenden Vorstellungen überfrachtet ist. Es offenbart sich hier eine problematische Erscheinung im heutigen Opernbetrieb, speziell in Leipzig: Es gibt kaum noch Teamarbeit. Die von auswärts kommenden Regisseure und Ausstatter haben eine szenische Konzeption, von der der Dirigent nichts weiß. Der ebenfalls meist von auswärts kommende Dirigent erscheint erst zu den Orchesterproben und zeigt sich dann bei der ersten Bühnen-Orchester-Probe überrascht oder verwundert von dem, was auf der Bühne passiert.

Walter Felsensteins Arbeit an der Komischen Oper Berlin und sein etwa von Joachim Herz in Leipzig über fast 20 Jahre beispielhaft verwirklichter Grundsatz, das szenische Geschehen aus Text und Musik zu entwickeln, scheint Geschichte zu sein. So konnte der junge Regisseur Michael von zur Mühlen in Leipzig bis zum Erscheinen des Dirigenten Leopold Hager schalten und walten, wie er wollte. In einem Einführungsvortrag zum »Holländer« sagte er (ganz im Gegensatz zu Hagers Meinung), vom Meer sei ja im Text kaum die Rede und man müsse für diese Metapher etwas Heutiges finden, »Im Dickicht der Städte«.

Ihm scheint nicht klar zu sein, dass Wagner diese Oper in der damals schon modernen Großstadt Paris schrieb, in der er sich wie der fluchbeladene Holländer als Ausgestoßener vorkam. Die unendliche Meereswüste war für ihn der stärkste Ausdruck dieses Ausgestoßenseins. Das wird im Text deutlich und ist in der Musik voller Spannung zu hören. Es geht um die Sehnsucht, vom Fluch erlöst zu werden und um Sentas Streben, den Holländer zu erretten (mit dem bewussten »Fidelio«-Bezug »Wer du auch seist.«). Für das große Duett des Holländers und Sentas wirken die dicht aufgestellten Papphochhäuser, auf denen beide agieren müssen, ausgesprochen fantasielos und den Gesang beeinträchtigend, abgesehen davon, dass Senta geschmacklos nur mit einem Bademantel bekleidet ist. Ein Video zweier unentwegt stupid aneinander vorbeilaufender oder aufeinander stoßender Unbekleideter lenkt dazu noch von diesem einzigartigen Zwiegesang ab.

Obwohl Wagner in seinen Bemerkungen zur Aufführung betonte, dass Dalands reges Interesse an den Schätzen des Holländers wohl für seinen Geschäftssinn spricht, aber nicht überzubewerten sei, thematisiert von zur Mühlen die Käuflichkeit der Liebe. Für Senta spielt aber der Schmuck überhaupt keine Rolle. Sie ist beim Eintreten Dalands mit dem Holländer so von der Erscheinung des Fremden fasziniert, dass sie den Vater und dessen Hantieren mit Schmuck und Geld gar nicht wahrnimmt. Schon mit dem Auftreten einer sich entblößenden und gelenkig darbietenden Prostituierten zum naiven Lied des Steuermanns bringt der Regisseur das Thema ins Spiel. Doch um der Gold-Geld-Herrschaft und der auf ihr beruhenden Gesellschaftsordnung wenigstens auf dem Theater den Garaus zu machen, dachte sich Wagner bekanntlich ein besonderes Stück für vier Abende aus.

Ohne eine im »Holländer« auch nur andeutungsweise zu findende Motivation meint von zur Mühlen, auch noch mit einem erst und nur zur Premiere gezeigten Video sich zerfleischender Kampfhunde seinen (achtenswerten) Protest gegen Tiermisshandlung ausdrücken zu müssen. Im letzten Bild hält es der Regisseur (mit Programmhinweisen auf Wagners Dresdener Artikel »Die Revolution«) schließlich noch für gegeben, von der sich schwarz beschmierenden Holländer-Mannschaft die Stadt auf der Bühne und die im Video gezeigte kurz und klein schlagen lassen zu müssen. Das ist Willkür, unkontrolliert ausufernde »Fantasie«, die schwerlich auf die Bühne käme, wenn Inszenierungen von Anfang von Dirigenten, Regisseuren, Ausstattern und Dramaturgen von Text und Musik, wie von deren historischem Umfeld ausgehend in aller Gründlichkeit gemeinsam durchdacht und mit heutigen Möglichkeiten umgesetzt würden.

Dabei sollte Respekt vor den Werken großer Meister walten, sich die Interpreten als Diener am Werk sehen, wie sich zumal große Dirigenten verstanden haben. Die viel beschworene Freiheit der Kunst schließt die Verantwortung vor dem Kunstwerk und vor dem Publikum ein.

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