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  • 18. Dezember - Internationaler Tag der Migranten

Geschenke für Ungewollte

Abgelehnte Migranten werden in Berlin im Abschiebegewahrsam Köpenick inhaftiert – ein Besuch auf der Schattenseite

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Bundesrepublik leben rund 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – in der Hauptstadt sind es 500 000 aus 200 Ländern. Unerwünschte Migranten werden in Berlin im Abschiebeknast Köpenick untergebracht. Ein Besuch zum Internationalen Tag auf der Schattenseite der Migration nach Deutschland.
Geschenke für Besucherkinder der Insassen des Berliner Abschiebegewahrsams.
Geschenke für Besucherkinder der Insassen des Berliner Abschiebegewahrsams.

Rosenweg heißt die Haltestelle der Straßenbahn. Auf der einen Seite erblickt man das idyllische Dahmeufer mit seinen schmucken, bunten Neubauten. Auf der anderen Straßenseite empfängt einen ein Betonparkplatz, eine hohe Betonmauer gehalten in jenem automatisch Beklemmung auslösendem Amtsgrün. Dahinter thronen Plattenbauten, jedes Fenster vergittert: der sogenannte Abschiebungsgewahrsam Köpenick.

Hier werden Migranten ohne Aufenthaltsstatus und Illegalisierte festgehalten. Ein Knast also. Menschen werden eingesperrt, damit sie alle Hebel in Bewegung setzen, um wieder auszureisen. Eine Art Beugehaft. Rund 70 Personen meist vietnamesischer Herkunft sind momentan offizielle Gäste der Bundesrepublik. An diesem grauen Dezembermittwoch vor Weihnachten sollen Geschenke übergeben werden. Brettspiele, Plüschtiere, ein Spielzeugtraktor, ein quietschbuntes Kinderkeyboard sind zu sehen, als Robert Schaddach den Kofferraum seines Autos öffnet.

»Ich hatte schon befürchtet, dass nicht alles in den Wagen passt«, sagt der Berliner SPD-Abgeordnete, der gemeinsam mit anderen aus Treptow-Köpenick Ende Oktober dazu aufgerufen hatte, Spielsachen zu spenden. Nein, Kinder seien zwar momentan nicht inhaftiert, aber sie kommen zu Besuch. Etwas Spielzeug lockert die beklemmende Situation. Berlin hat dafür natürlich kein Geld.

»Viele ältere Paare sind vorbei gekommen und haben bergeweise Sachen abgegeben«, sagt Karolina Engelbrecht, Mitarbeiterin von Schaddach. »Wir hatten nur positive Reaktionen, der Rest schweigt«, erklärt Schaddach. Das Tor öffnet sich, heraus kommt Hans-Jürgen Schildt, stellvertretender Leiter des Abschiebungsgewahrsams.

Auch er freut sich über die Gaben. »Wir wollen die Situation für die Häftlinge so angenehm wie möglich machen«, sagt er, »schließlich sind das ja unbescholtene Bürger.« Das Letzte klingt interessant, schließlich dürfen die Illegalisierten sich nicht frei bewegen, was ja jedem unbescholtenen Bürger zustünde. Dafür ist Hans-Jürgen Schildt jedoch nicht zuständig. Er sagt: »Die Haftbedingungen haben sich wesentlich gebessert – mehr Licht, mehr Platz. Und mit den Brettspielen haben die Insassen wieder etwas mehr Beschäftigung.« Die sei wichtig, damit die Leute nicht auf trübe Gedanken kommen, meint Schildt.

Damit spielt er auf die Negativschlagzeilen an, die der Abschiebeknast seit Jahren immer wieder machte: Selbstmorde, Massentumulte, sexueller Missbrauch; die Liste ist lang. Schaddach bestätigt indes die deutliche Besserung: »Da ich auch im Petitionsausschuss sitze, bekomme ich das mit. In den letzten Monaten war nichts mehr.« Trotzdem gibt es an dem ganzen System nichts zu beschönigen. Bis zu 18 Monate Haft sieht der Gesetzgeber vor, selbst wenn der Gefangene gewillt ist, auszureisen. Manchmal scheitert es am Geld, häufig an den Botschaften.

Vom vietnamesischen Konsulat einen Pass zu erhalten, erfordert etwa übermenschliche Anstrengungen. Kritik übt der Berliner Flüchtlingsrat auch an dem von der Anstaltsleitung unabhängig agierenden ärztlichen Dienst im Abschiebeknast. In einem Bericht vom 15. Oktober heißt es, dass »der allgemeine Umgang mit psychisch belasteten und traumatisierten Personen völlig unzumutbar ist. So werden suizidgefährdete Personen in einzelnen Isolierzellen untergebracht, unter Daueraufsicht gestellt«.

In der Einfahrtsschleuse werden die Geschenke in ein Polizeiauto umgeladen. Robert Schaddach hat noch eine Überraschung für das Personal: Stollen. Schildt freut sich. Weihnachten im Knast.

Vor acht Jahren haben die Vereinten Nationen den 18. Dezember zum Internationalen Tag der Migranten erklärt. Zehn Jahre zuvor, am 18. Dezember 1990, wurde die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Gastarbeiter und ihrer Familienangehörigen von der UNO-Vollversammlung angenommen. Sie gilt als prinzipieller internationaler Standard, an dem Regierungen ihre nationalen gesetzlichen Schutzmechanismen messen sollten. Die Konvention trat am 1. Juli 2003 in Kraft, nachdem sie von mehr als 20 Staaten unterzeichnet und ratifiziert worden war. Allerdings fehlt nach wie vor die Signatur wichtiger Aufnahmeländer von Arbeitsmigranten – darunter auch der Bundesrepublik Deutschland. (ND)

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