»Fernsehen für Anspruchslose«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.
Unser Autor ist freier Fernsehkritiker in Hamburg.
Unser Autor ist freier Fernsehkritiker in Hamburg.

Eigentlich lief dieses Jahr im Fernsehen wie das davor. ARD und ZDF hechelten den Privaten nach. Denen fiel auch nicht mehr ein als die ewig gleichen Zugpferde: von Raab bis Jauch und Barth, von Supermodels bis Superstars, von Kochen bis Comedy, von Auswandern bis Anschwärzen – und zurück zu Raab. Aufgewärmtes, wenig neue Rezepte. Kein Wunder, dass gerade die Jungen lieber im Internet surfen. Und sei's nebenbei.

Mit US-Serien in Endlosschleifen, faden Chart-, Motto-, Panel-, Heiratsshows, den ermatteten Geissens, Bauses, Balders und einem Boris Becker als pokerndem Pro7-Kerner kriegt man die Jugend jedenfalls nicht zurück zum amtierenden Leitmedium. Doch dort werden weiter Dschungelkönige, Bauersfrauen, Wickis starke Männer und Next Uri Gellers gewählt. Schon komisch, dass die Zielgruppe, von Helmut Thoma einst willkürlich auf 14 bis 49 Jahre festgelegt, zurzeit noch relativ häufig einschaltet. Zumindest bei RTL. Den TV-Sparten der ProSieben Sat.1 Media AG dagegen geht es so mies, dass der Hauptstadtsender personalreduziert ins Münchner Gewerbegebiet zieht. Denunziationsformate gegen die Ärmsten (»Gnadenlos gerecht«) plus Lobhudelung der Oberschicht (»Gräfin gesucht«) in Telenovela-Soße (»Anna und die Liebe«) besiegeln den Absturz zudem ästhetisch. Doch inhaltlich tritt auch die Konkurrenz auf der Stelle. Abseits der Klinikserie »Doctor's Diary« (RTL) bleiben Eigenproduktionen in Reihe Misserfolgsgaranten. Und Importe wie »Californication«, »Men in Trees« oder »The Tudors« liefen entweder gegen Fußball oder zu spät.

Man mag die junge Zielgruppe ja umwerben; respektiert wird sie selten. Nirgendwo. Da mag das Erste nach Pocher – für dessen Gastspiel bei Harald Schmidt freilich bald Schluss ist – auch Heidi Klums Exmodeltester Darnell von Pro7 für das Coachingformat »Bruce« einkaufen. Gemeinsam mit der Kuppelshow »Ich weiß, was gut für dich ist« waren die vermeintlichen Jugendformate ein Doppeldesaster am Vorabend, das sich durch den ausgemusterten RTL-Flop »Die Anwälte« noch fortsetzte.

Die würdelose Übertragung des Medienpreises der »Bild«-Zeitung im Mai schlug für Kurt Beck als Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder dann »dem Fass den Boden aus«. Da hatte er die dilettantischen Jubelarien zu Obamas Berlin-Visite noch vor sich. Nach ähnlichem Muster blamierte sich das ZDF. Es reanimierte die Kommerzerfolge »Traumhochzeit« und »Bergdoktor«, übertrug die PR-Sause »Franz-Beckenbauer-Cup«, lieferte mit dem Vertriebenen-Drama »Die Gustloff« das plumpeste Stück Revisionismus im TV-Jahr. Und Gottschalk castete derweil den »Musical-Showstar«.

Perlen wie die ZDF-Reihe »Hip-Hop don't stop« dagegen laufen zur Nacht. Zeitgleich mit Kinoerstausstrahlungen wie »Good Night and Good Luck« im Ersten – um fünf nach zwölf. Manch Werktätigem dürfte das zu spät sein. Sicher, es gab auch davor Ansehnliches. Das Sat.1-Wendeepos »Wir sind das Volk« oder einen Sendetag in lateinischer Sprache bei 3sat. Dazu Topfilme wie »Das Wunder von Berlin« oder die Dokureihe »Die Deutschen« im Zweiten.

Wenn nicht grad die Alpen glühen, bringt das Erste zumindest mittwochabends gute Filme. Die Stasi-Romanze »Zwölf heißt: ich liebe dich« oder die bislang beste Verfilmung des Terrorherbstes 1977 (»Mogadischu«) sind nur zwei Belege. Und Sport ist ohnehin gebührenfinanzierte Kernkompetenz – das zeigen nicht nur die Reportagen am Rande der Pekinger Spiele, das belegt auch die lang ersehnte Abkehr von der Tour de France 2009.

Marcel Reich-Ranicki mag etwas beschimpft haben, das er gar nicht kennt – die Kritik war überfällig. Das zeigt kaum ein Jahr besser als dieses. Und das nächste dürfe kaum besser werden. In der Finanzkrise steigt der Kostendruck. Riecht nach noch mehr Fernsehmüll.

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