»Gegossenes Blei«: Israel kann (vielleicht) militärisch siegen, die Hamas (vielleicht) medial

Die neue Offensive lässt Angreifern wie Verteidigern keine Wahl – büßen muss die Bevölkerung

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Der neue Waffengang, »Gegossenes Blei« genannt, kann zwei »Gewinner« haben, doch nur einen Verlierer: die Bevölkerung im Gaza-Streifen.

»Gegossenes Blei«. Der Codename für Israels Militäroperation erinnert in europäischen Breiten an das traditionelle Orakelgießen. Wer das bemüht, sucht nach Schicksalhaftem und der »Wahrheit« kommender Zeiten. Was immer von dem Klumpen Schwermetall nach plötzlicher Hitze und eisiger Abschreckung übrig bleibt, bietet die Gestalt zu verschiedensten Deutungen.

»Wir sind nicht kriegshungrig, aber wir dürfen und werden keine Situation dulden, in der unsere Städte, Dörfer und Zivilisten ständig von der Hamas angegriffen werden«, sagt der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak. Einer seiner ranghohen Militärs ergänzt aus taktischer Sicht: Der Bodeneinsatz, der den Luftschlägen der vergangenen Woche folgt, werde »nicht in Stunden oder Tagen enden«. Die radikal-islamische Hamas habe sich, so sagt das Militär, während der sechsmonatigen Waffenruhe mit Israel sehr gut auf einen Angriff am Boden vorbereitet. Es gebe für die eigenen Truppen »viele Hindernisse auf dem Boden und im Untergrund«.

Die Hamas – so hat Israels Armee gelernt – ist in Top-Form. Gedrillt nach den Erfahrungen der Hisbollah in Libanon und den Kämpfern in Afghanistan oder Irak. Wer eine solche nicht als klare Struktur erkennbare Truppe angreift – und sei es zur Selbstverteidigung –, muss wissen, dass ein harter, weil asymmetrischer Kampf bevorsteht.

Da nutzt es wenig, wenn man – wie Israel – über 133 000 rekrutierte Soldaten, dazu zehntausende Reservisten, 3860 Kampfpanzer, 6750 eroberte und umgebaute Transportpanzer sowie fast 500 Kampfjets verfügt. Israels militärische Strategie ist seit Jahrzehnten simpel: Nur keinen Krieg verlieren! Ohne ausländische Hilfe wäre das vermutlich das Ende des gesamten Staates. Also wird das gesellschaftliche Leben einem einzigen Grundsatz untergeordnet: Terrorismusbekämpfung mit möglichst geringem eigenen Einsatz. Und mit minimalen Verlusten.

Doch das Diktat des Handels hält auch diesmal nicht der mit Kampfjets und Panzern Grenzen überschreitende Angreifer, sondern die andere Seite in der Hand. So fanatisch die Hamas auch in manchen Bildberichten erscheinen mag, so militärisch geschult sind ihre einzeln operierenden, doch vernetzten Gruppen. Sie wissen, wie man Hinterhalte so legt, dass die Angreifer die Zivilbevölkerung treffen. Und das bietet die Bilder, die in unserer auch medial globalisierten Welt – und zwar nicht nur in der islamischen geprägten – Wirkung zeigen.

Israels Angriff, der fortgesetzten Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen folgt, ist keinesfalls ein regional begrenzter Konflikt. Was losgetreten wurde, wird – auch sicherheitsstrategisch – ein Echo rund um den Erdball haben.

Eine Wiedereroberung des GazaStreifens sei nicht geplant, betonten israelische Militärs. Es solle lediglich die Hamas-Infrastruktur »so hart wie möglich« getroffen werden. Diese Vorstellung ist fern der Realitäten. Denn Hamas hat ein sehr weites Hinterland, das weit über Iran hinausreicht. Teheran, so kann man hoffen, ist – auch angesichts der nahenden neuen US-Präsidentschaft – derzeit um seine eigene Sicherheit so bemüht, dass es an einer übermäßigen Eskalation der Kämpfe in Gaza nicht interessiert ist. Doch ob das die Hamas interessiert? »Wir gewinnen oder verlieren«, sagt einer ihrer Sprecher und hofft, zumindest medial auf der Straße der Sieger zu sein.

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