Das Leben leben

Bolt – Ein Hund für alle Fälle von Chris Williams

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Selbstverständnis eines Hundes ist simpel: Er existiert vor allem, um seinem Herrchen oder Frauchen zu dienen. Für das Mädchen Penny, »seinen Menschen«, macht der Superhund Bolt die Schurken dieser Welt unschädlich. Unter Einsatz seiner Superkräfte biegt er Eisenstangen auseinander und springt meterweit über steilste Hindernisse. Seine effektivsten Waffen, der Laserblick und der Turbo-Beller, lassen die Erde erbeben und schlagen die ärgsten Feinde in die Flucht. Was Bolt (englisch: Blitz) nicht weiß: Er ist nur der Darsteller einer TV-Serie. Um seine Emotionen so authentisch wie möglich für den Bildschirm einzufangen, lässt man ihn glauben, seine Abenteuer seien real. Gewiefte TV-Profis machen die Illusion für den naiven Kläffer perfekt. Gedreht wird live, und Mikrofone, Kameras und andere technische Geräte dürfen nicht in sein Blickfeld geraten.

Eine furiose Verfolgungsjagd zu Beginn von »Bolt – Ein Hund für alle Fälle« lässt die Disney-Animateure für dieses computergenerierte Abenteuer zu Höchstform auflaufen. Täuschend echt gestaltete Landschaften, Fahr- und Flugzeuge verblüffen ebenso wie die Animation des Hundes, dessen Gestik bis ins feinste Fellhaar überzeugt. Zum Glück drosselt »Bolt« später sein atemberaubendes Anfangstempo, denn der Film ist vor allem eine Selbstfindungsgeschichte, in der die Reflexionen des Helden die Handlung vorantreiben. Nicht von ungefähr gerät der Superwauwau in eine Identitätskrise. Als er eines Nachts auf der Suche nach Frauchen aus seinem Wohnwagen im kalifornischen Filmstudio türmt, gerät er versehentlich auf einen Transport nach New York. In der neuen Stadt landet der strahlende Held plötzlich unsanft in der Realität. So verfängt er sich in Gitterstäben (die hier keine TV-Produzenten mehr aus Gummi nachstellen) oder fällt in Gräben, die er sonst spielend überspringt. Der weiße Hund mit dem schwarzen Blitz im Fell versteht die Welt nicht (mehr) und gibt seiner Umgebung die Schuld an seinen Missgeschicken.

Erst durch die Schützenhilfe einer schlauen Katze namens Mittens lernt Bolt die Realität zu akzeptieren. Eine der vielen liebenswerten Ironien des Films besteht darin, dass ausgerechnet der Erzfeind des Hundes, die Katze, ihm das Hundsein schmackhaft macht. So lehrt sie den Köter mit dem Super-Ego, wie man hechelt, Stöckchen holt oder erfolgreich den Hundeblick aufsetzt, mit dem Hund beim Menschen Futter erbettelt. Auf den Heimweg an die Westküste schließt sich dem Duo bald der übergewichtige Hamster Dino an. Der verbrachte sein Leben bisher vor Fressnapf und Fernseher und ist ein fanatischer Fan des Superhundes, an dessen Fähigkeiten er unerschütterlich glaubt.

Man muss kein Soziologe sein, um in dieser Figur eine Allegorie auf reizüberflutete und bewegungsarme Teenager in der westlichen Welt zu sehen. Trotzdem stiehlt der sympathische moppelige Nager allen die Show und dürfte vor allem von Kindern ins Herz geschlossen werden. Dino glaubt, seinem hündischen TV-Idol auf der Suche nach dessen entführten Frauchen zu helfen, und sprüht vor Tatendrang: »Ich fühle mich so lebendig«, kreischt er verzückt, als er mit Bolt die gemeinsame Katzenfreundin aus einem Tierheim befreit.

Zwei hinreißend komische Taubentrios befriedigen dagegen erwachsenen Humor. Auch popkulturelle Anspielungen, ohne die heutzutage kein Animationsfilm auskommt, werden hier wohl dosiert: Bolt geriert sich anfänglich wie eine tierische Kreuzung aus Bruce Willis und Kiefer Sutherland, das musikalische Thema der Action-Szenen erinnert an »Mission Impossible« und den TV-Reißer »24«, während Zeitlupen-Sequenzen ironisch an »Matrix« mahnen. Die deutsche Fassung, in der Christian Tramitz den Hund und Axel Stein den Hamster sprechen, ist auch rundum gelungen.

»Bolt« beweist, dass Disney gute, kitschfreie Filme machen kann – schließlich fungierte John Lasseter, Mitbegründer der innovativen, von Disney einverleibten Pixar-Studios, als ausführender Produzent. Außer an Zwerchfell und Herz appelliert »Bolt« aber auch an den Verstand. Mit – zugegeben konsensfähiger – Medienkritik moniert der Film Manipulation und Quotendruck ebenso wie die Austauschbarkeit von TV-Akteuren. Vor allem ist »Bolt« aber eine Aufforderung, sein Leben zu leben. Sei es an die Stars, aus ihrem Elfenbeinturm herauszukommen, oder an die Gemeinsterblichen, sich selbst wertzuschätzen. Ein Film über Selbsterkenntnis, Treue und Freundschaft – anrührend, spannend und sehr komisch.

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