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Kanzel, Katheder und Salon

Zum 175. Todestag von Friedrich Schleiermacher

  • Heinrich Fink
  • Lesedauer: 4 Min.

Geboren ist er am 12. November 1768, wie viele Berliner, in Breslau. Der wohl bekannteste Wissenschaftler, des 18./19. Jahrhunderts war Mitbegründer und Organisator, Rektor und verehrter Hochschullehrer der Berliner Universität, prominentes Mitglied und Sekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften, einer der bedeutendsten klassischen Philologen und ein Philosoph, der fast alle Gebiete der Kultur geistig durchdrang. Dabei ist er immer Theologe geblieben.

Er hat mit seinem Werk »Glaubenslehre« die klassische Dogmatik des »Neuprotestantismus« geschaffen und eine neue Periode der wissenschaftlichen Theologie eingeleitet. Er war unermüdlicher akademischer Lehrer, der täglich von 7 bis 10 Uhr Vorlesungen hielt und etwa 40 Jahre lang fast jeden Sonntag als reformierter Prediger auf einer Kanzel stand.

Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher, beeindruckt von den Ideen der Französischen Revolution, war wohl auch einer der wenigen Theologen jenes Jahrhunderts, der sich für Veränderung und Erneuerung der Universität, der Kirche und der Gesellschaft in geradezu revolutionärer Weise einsetzte. In seiner ersten großen Arbeit »Über die Religion« (der Untertitel: »Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern« stammt von Schlegel), die er 1799 anonym veröffentlichte, analysiert er die Verhältnisse und übt scharfe Kritik am herrschenden Staatskirchentum. Er ist der erste Theologe, der bei der Reflexion über das Selbstverständnis der Kirche in ihrer Beziehung zum Staat von einer Wechselbeziehung, ja gerade von einer wechselseitigen Bedingtheit gesprochen hat. Deshalb setzte er sich in jeder Weise dafür ein, dass die bestehende Bindung zwischen protestantischer Kirche und preußischen Staat gelöst werden müsse.

In den Bemühungen um eine synodal-presbyteriale Kirchenverfassung ist für ihn eine Neuorientierung und zugleich Neuordnung des Religionsunterrichtes ein entscheidender Schritt. Er will christliche Unterweisung nicht als Pflichtfach der Schule überlassen. Seine Vorstellungen von einer Unterweisung der Kinder, die der Kirche gemäß ist, knüpfen darüber hinaus auch methodisch nicht mehr an die didaktischen Regeln an, die für die preußischen Schulen galten. Ihnen setzte er einen Entwurf entgegen, in dem die religiöse Unterweisung als Funktion der Gemeinde verstanden wurde.

Auch für die Freiheit der Wissenschaft von der Bevormundung durch das preußisch-monarchistische Herrschaftssystem kämpfte Schleiermacher. Darin erweist sich deutlich, dass er auf der Seite des fortschrittlichen Bürgertums stand. Als 1806 in der Schlacht bei Jena und Auerstedt das Preußische Heer von den Truppen Napoleons vernichtend geschlagen worden war, gehörte er zu denjenigen Intellektuellen, die sich über die tiefsten sozialen Ursachen dieser Katastrophe Rechenschaft zu geben suchten. Das tat er nicht nur in der Studierstube, sondern auch im Hörsaal und auf der Kanzel. 1813 war er einer der wenigen Theologen, die sich darum bemühten, dass die patriotischen und progressiven Ideen nicht völlig erstickt werden würden. Er trat sogar dem Landsturm bei, um mit der Waffe in der Hand die errungenen Ideale zu verteidigen. Darum konnte ein Zusammenstoß mit der wieder erstarkenden Reaktion nicht ausbleiben. Er erhielt eine Verwarnung wegen »Hochverrats«.

Die Berliner bürgerliche Gesellschaft hat Schleiermacher durch seine Gespräche in den Berliner Salons intensiv geprägt. Frauen, wie Henriette Herz, Rahel Varnhagen von Ense und Dorothea Mendelsohn, waren für ihn wichtige gleichberechtigte Gesprächspartnerinnen. Nicht ohne Grund sind es jüdische Häuser, in denen die bekanntesten Salons entstanden. Schleiermacher setzte sich für eine echte Judenemanzipation ein und wandte sich energisch dagegen, dass Juden sich taufen ließen (oder lassen mussten), um ins Bürgertum aufzusteigen und sich voll gesellschaftlich zu integrieren.

Das Studium von Schleiermachers Schriften ist ein Studium von Philosophie, Theologie, Pädagogik, Literaturwissenschaft, Geschichte, Philologie sowie auch Rechtswissenschaft. Er war einer der ersten umfassend gelehrten Theologen der Berliner Universität. Sein Erbe ist bis heute noch nicht voll aufgearbeitet.

In einer Predigt 1813, in der er sich über das Erbe der Französischen Revolution äußert und bedauert, dass die Freiheit, die Gleichheit und die Geschwisterlichkeit noch sehr viel Arbeit brauche, sagte Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher: »Dafür ist das Zeitalter noch nicht reif, sagen sie immer. Soll es deswegen unterbleiben? Was noch nicht sein kann, muss wenigsten im Werden bleiben.«

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