Streumunition aus Nürnberg

Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung? Rüstungskonzern klagt gegen einen Journalisten

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Regensburger Journalist muss sich seit gestern vor Gericht verantworten. Er hatte in einer Kolumne geschrieben, der bayerische Rüstungskonzern Diehl produziere Streumunition.

Streubomben gelten als heimtückische Killer. Sie bestehen aus einem Metallmantel, der bis zu 2000 Bomblets oder Submunitionen enthält. Das Funktionsprinzip ist denkbar einfach: Kurz über dem Boden öffnet sich der Behälter, und die zahlreichen Minibomben verteilen sich. Ein großer Nachteil dieser Technik ist die hohe Blindgängerquote. Bis zu 25 Prozent dieser Bomblets explodieren nicht und stellen noch Jahre nach Abwurf eine Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Egal ob Kosovo, Libanon oder Irak: Überall dort, wo diese Bomben zum Einsatz kamen, zerfetzt es noch heute tagtäglich Kinder, die die kleinen Bömbchen für Spielzeug halten.

Bis vor Kurzem zählte auch der Nürnberger Rüstungskonzern Diehl zu den Produzenten dieser heimtückischen Munition. Doch die Zeiten haben sich geändert – auch für die Firma Diehl. Denn im Dezember 2008 unterzeichneten beinahe einhundert Staaten den Vertrag von Oslo, der ein Verbot von Streumunition vorsieht. Zwar ist das Abkommen noch nicht in Kraft, doch über die gefährlichen Kollateralschäden, die der Einsatz dieser Munition mit sich bringt, herrscht weitgehend Konsens. Somit will kein Produzent dieser Munition als solcher in Erscheinung treten, auch die Firma Diehl nicht. In Kooperation mit Rheinmetall produziert man nun sogenannte SMArt-Geschosse für Artilleriehaubitzen. Zwar enthalten auch diese Geschosse Submunition, doch das neue Produkt firmiert nun unter der Bezeichnung »Punktzielmunition«.

Alles bestens. Deshalb schien auch nichts gegen die Verleihung des bayerischen Verdienstordens an Konzern-Aufsichtsratsmitglied Werner Diehl zu sprechen. Der Sohn des Wehrmachtsausrüsters Karl Diehl erhielt die hohe Auszeichnung am 11. Juli 2008 aus den Händen des damaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein. Diehl gilt als traditionsreiche Firma, schon im Zweiten Weltkrieg produzierten KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter in dem »Kriegsmusterbetrieb« Zünder für Wehrmachtsbomben.

Während die bayerische Presse wohlwollend über das segensreiche Wirken Diehls berichtete, erinnerte der Regensburger Journalist Stefan Aigner in seiner Kolumne »Verdienstorden und Streubomben« an den wahren Charakter der Produkte aus dem Hause Diehl. Die Antwort des Rüstungskonzerns kam postwendend: Per einstweiliger Verfügung untersagte man Aigner die Behauptung, Diehl wäre an der Produktion von Streumunition beteiligt. Die Konzernjuristen sahen in dieser Aussage eine »unwahre Tatsachenbehauptung«. Punktzielmunition sei keine Streumunition. Wie der »Spiegel« im Dezember 2008 berichtete, war es die Bundesregierung, die aus »intelligenter Streumunition« harmlose »Punktzielmunition« werden ließ. Mit diesem Trick umging man die Streubomben-Konvention von Oslo, die zuvor monatelang von deutschen Verhandlungsteilnehmern blockiert worden war. Dank dieses juristischen Winkelzuges können Diehl und Rheinmetall auch weiterhin ihre SMArt-Geschosse produzieren. Mit allen Mitteln versucht man deshalb, nicht mit dem Begriff Streumunition in Zusammenhang gebracht zu werden. So erklärt sich auch die Vehemenz, mit der Diehl gegen den Journalisten vorgeht.

Derzeit findet sich auf den Seiten der Online-Zeitung »Regensburg-Digital«, für die Aigner schreibt, zwar noch dessen umstrittene Kolumne, allerdings mit einer Auslassung und dem Hinweis versehen: »Aussage gerichtlich untersagt«. Seit Montag stehen sich beide Parteien nun vor dem Landgericht I in München gegenüber. Die Anwältin des Journalisten, Britta Schön, sieht hier das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gefährdet. Zumal es, wie die Juristin gegenüber ND betonte, in Deutschland »gar keine legale Definition für Streumunition« gebe.

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