Was der Baikalsee mit Indien zu tun hat

Dänische Geophysiker rekonstruieren die Entstehung des Grabenbruchs in Sibirien

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 4 Min.

Russen wie sibirische Urvölker haben lange die Schönheit des Baikalsees besungen und sie haben sich sicherlich auch manchmal gefragt, wie ein so großer See fernab der Ozeane entstehen konnte. Rund 30 Millionen Jahre alt, hat seine isolierte Lage zur Entwicklung einer einzigartigen Fauna und Flora geführt, von der die Nerparobbe und der Fettfisch Golomjanka nur die bekanntesten Beispiele sind. Der Baikalsee wird deshalb auch als Sibiriens Galapagos bezeichnet. Einzigartig ist jedoch nicht allein die Flora und Fauna. Der Baikal ist überdies der tiefste und älteste See der Erde und das größte Reservoir flüssigen Süßwassers auf der Erde. Die tiefste gemessene Stelle des Sees beträgt 1637 Meter und liegt damit 1200 Meter unter dem Meeresspiegel. An keiner anderen Stelle außerhalb der Ozeane reicht ein Grabenbruch so tief an den flüssigen Erdmantel heran.

Für die Geowissenschaftler war es lange ein Rätsel, wie ein so tiefer See rund 3000 km entfernt von der Grenze der nächsten tektonischen Platte entstehen konnte. Zwei dänische Geophysiker, Hans Thybo und Christopher Nielsen von der Universität Kopenhagen, konnten dieses Rätsel jetzt lösen und dabei auch die bisherigen theoretischen Modelle für die Entstehung eines Grabenbruchs verbessern.

Der Baikalsee ist Teil einer etwa 2000 Kilometer langen und 40 bis 50 Kilometer breiten Bruchzone. Grabenbrüche sind Schwächezonen der Erdkruste, die infolge von Kräften in den Kontinentalplatten und aus dem Erdmantel aufreißen. In dem Maße, in dem die Risskanten auseinandergeschoben werden, bricht zwischen ihnen die Erdkruste ein – ein Graben entsteht. Im Fall des Baikalgrabens war es der Aufprall der Landmasse, die heute den indischen Subkontinent ausmacht, auf das asiatische Festland. Die indische Platte stieß mit der für geologische Verhältnisse rasenden Geschwindigkeit von 20 Zentimetern pro Jahr vor rund 50 Millionen Jahren auf die Chinesische Platte. Dabei wurde das Himalajagebirge aufgefaltet und das Hochland von Tibet in die Höhe geschoben. Die Spannungen führten auch zu einem Riss in der Eurasischen Platte, der später teilweise vom Baikalsee aufgefüllt wurde. Da die Indische Platte noch nicht zum Stehen gekommen ist, setzt sich der Prozess fort.

Im Jahre 2003 erhielt Professor Hans Thybo vom Institut für Geologie der Kopenhagener Uni die Erlaubnis der russischen Behörden, eine Untersuchungsreihe am Baikalgraben durchzuführen. Gemeinsam mit Geologen und Geophysikern der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Polnischen Akademie der Wissenschaften führte er seismische Messungen durch. Dazu bohrten die Forscher Dutzende Löcher und zündeten darin insgesamt 15 Tonnen Dynamit. Die davon ausgelösten Schockwellen wurden durch 100 hochsensible Seismographen gemessen. Die Auswertung der riesigen Datenmenge des Experiments BEST (Baikal Explosion Seismic Transects) zog sich über mehrere Jahre. Nun veröffentlichte das Team seine Ergebnisse im Fachjournal »Nature« (online, DOI: 10.1038/ nature07688). Es zeigte sich, dass der Baikalgraben weitaus tiefer als erwartet reicht: etwa zehn Kilometer. Entsprechend bisherigen Modellen für die Entstehung von Grabenbrüchen hätten die Messungen eine Ausbeulung der Kruste in den Erdmantel hinein finden müssen. Doch die fehlte. Thybo erklärt dies damit, dass die Erdkruste an dieser Stelle dünner ist und dass dünnflüssiges Magma aus dem Erdmantel in die Kruste unter dem Graben eindrang. Das Volumen des Magmas entspricht dem der fehlenden Ausbeulung.

Beim Vergleich des Baikalgrabens mit anderen Grabenbrüchen, u.a. dem Ostafrikanischen und dem Donezkbecken in der Ukraine ergab sich eine ähnliche Struktur. Damit ist nicht nur ein Aspekt des bisherigen Modells für Grabenbrüche hinfällig, die Ergebnisse haben auch praktische Konsequenzen. In Grabenbruchzonen werden häufig Erdölvorkommen gefunden. Ein Beispiel ist der Zentralgraben in der Nordsee. Ein tieferes Verständnis der Entstehung solcher Vorkommen kann zu neuen Funden bzw. höheren Ausbeuten bestehender Felder führen, wenn ihr geologischer Aufbau besser bekannt ist. Im BEST-Projekt werden beim Bemühen um ein besseres Verständnis des geologischen Aufbaus der Erde Methoden verwendet, die auch bei der Suche nach Rohstoffquellen genutzt werden können.

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