Auf Sparkurs unterwegs

Der zerstrittene BDR entscheidet heute in Leipzig über seine Zukunft / 125 Jahre BDR: Der Verband steckt in der Krise, wird Präsident Scharping heute wiedergewählt?

Zum ersten Mal seit 60 Jahren wird der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) in einer Kampfabstimmung gewählt. Gegen den seit 2005 amtierenden Präsidenten Rudolf Scharping tritt bei der heutigen Bundeshauptversammlung in Leipzig der ehemalige Bahnradprofi Dieter Berkmann aus Miesbach (Bayern) an. Berkmann wirft Scharping vor allem eine mangelhafte Antidopingpolitik vor. Die Stimmung bei der 125-Jahr-Feier gestern in Leipzig war getrübt.
Populär seit dem 19. Jahrhundert: Radsport, hier 1893 auf der 500-Meter-Bahn von Leipzig
Populär seit dem 19. Jahrhundert: Radsport, hier 1893 auf der 500-Meter-Bahn von Leipzig

Als Wolfgang Schoppe aus Leipzig vor sechs Jahren anfing, die Feier zum Jubiläum des BDR in Leipzig zu konzipieren, hatte der Vizepräsident des Verbandes viele Ideen: eine Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum, ein Buch zur BDR-Geschichte, eine Jubiläumsfeier in der schicken Glashalle der Neuen Messe. Es war eine Zeit, in der der deutsche Radsport noch nicht auffällig von Dopingfällen heimgesucht worden war.

2009 ist alles anders: Die Jubiläumsfeier mit Olympiamedaillengewinnern und Weltmeistern wie Lutz Heßlich, Jan Schur oder Christa Luding-Rothenburger gestern Abend fand ohne großen Pomp im Leipziger Hotel Westin statt. Für das BDR-Buch sucht Schoppe noch immer einen Verlag; fürs Museumsprojekt hat der BDR kein Geld. »Der Radsport steckt in einer Krise«, sagt Schoppe (69), der 1990 letzter Vorsitzender des Deutschen Radsportverbandes der DDR wurde und danach stets zum BDR-Präsidium gehörte: »Alles wegen des unsäglichen Dopings.«

BDR-Präsident Rudolf Scharping ist Wahlkampfprofi und sieht die Lage vor der heutigen Abstimmung optimistischer: Der BDR zähle zu den »erfolgreichsten olympischen Fachverbänden im deutschen Sport«. Scharping verweist auf eine Vielzahl von WM- und Olympiamedaillen und die Rekordmitgliederzahl von 133 000. »Dass die Feierlichkeiten von der Wahl eines neuen Präsidenten überlagert werden, liegt natürlich an meiner Person.« Ganz selbstverständlich werde auf seinem Rücken »Propaganda betrieben«, meint der Ex-Verteidigungsminister, der noch im November 2008 vor den Sportausschuss des Deutschen Bundestages zitiert wurde.

Der Ausschuss wollte vorschlagen, dem BDR wegen unzureichender Antidopingmaßnahmen sämtliche Fördermittel zu entziehen, doch schließlich konnte Scharping die Mehrheit der Sportpolitiker von dem Vorhaben abbringen. 2009 bekommt der Verband 2,4 Millionen Euro vom Innenministerium, ein Zehntel davon wird für den Kampf gegen Doping ausgegeben. Insgesamt fährt der Verband einen harten Sparkurs. Die 17 Mitarbeiter der BDR-Geschäftsstelle in Frankfurt am Main wurden auf Kurzarbeit gesetzt.

»Es ist eine Situation, wie ich sie noch nie erlebt habe«, sagt Wolfgang Schoppe, der seit 29 Jahren Radsportfunktionär ist. Wer auch immer die Präsidentenwahl am Sonnabend gewinnen werde, das Wichtigste sei, wieder Ruhe in den Verband zu bringen. Dass mit jedem ertappten Dopingsünder die Unruhe wächst, macht den Antidopingkampf nicht leichter.


125 Jahre Radsport

In Leipzig feierte der Bund Deutscher Radfahrer gestern Abend in Anwesenheit vieler Weltmeister und Olympiasieger sein 125-jähriges Bestehen. Die Messestadt ist für den deutschen Radsport ein besonderer Ort: Beim »Deutschen Velocipedistenkongreß« im Jahr 1884 wurde in einem der feinsten Restaurants der Stadt, im »Etablissement Moritzburg«, der Deutsche Radfahrerbund (Fotos: Archiv Schoppe, BDR) gegründet; 16 Jahre vor dem Deutschen Fußball-Bund, der ebenfalls in Leipzig erstmals zusammentrat, im Hinterzimmer einer Kneipe. Bis zum ersten Weltkrieg war Radsport eine der populärsten Sportarten weltweit – nicht nur die Sechstage- und Straßenrennen, sondern auch das Kunstradfahren und der Radball. Der als bürgerlich geltende deutsche Verband nannte sich ab 1919 Bund Deutscher Radfahrer und wuchs schnell, hatte aber besonders im SPD-nahen Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität mit seinen 280 000 Mitgliedern einen starken Konkurrenten.

Unter den Nationalsozialisten wurde der BDR ebenso wie die »Solidarität« aufgelöst und durch den »Deutschen Radfahrerverband« ersetzt. Im November 1948 wurde der BDR in Frankfurt am Main wiedergegründet. In der DDR übernahm die Sektion Radsport des Deutschen Sportausschusses bis 1958 die Organisation des Radsportes, ehe 1958 der Deutsche Radsport-Verband der DDR (DRSV) installiert wurde. Die Gründung des DRSV erfolgte in Leipzig – jener Stadt, in der 1990 schließlich auch die Vereinigung des DRSV mit dem BDR vollzogen wurde. Heute fahren etwa 40 Millionen Deutsche regelmäßig Rad, 133 000 sind im Bund Deutscher Radfahrer organisiert. ND

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