Schwach und begrenzt

  • Gregor Schirmer
  • Lesedauer: 5 Min.
Schwach und begrenzt

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist nach meiner Meinung ein schwaches Instrument gegen Kriegsverbrecher. Es gibt strukturelle Grenzen und praktische Hindernisse für die Wirksamkeit des Gerichtshofs, die mich wenig hoffnungsvoll stimmen.

Von Universalität ist der IStGH mehr als zehn Jahre nach der Unterzeichnung des Statuts weit entfernt. Von den 192 Mitgliedern der UNO haben 108 das Statut ratifiziert. Seit Jahren aber ist ein Stillstand im Ratifikationsprozess eingetreten. Unter den 84 fehlenden Staaten sind viele, auf die es gerade ankommt. Die USA haben, nachdem Präsident Bill Clinton im letzten Moment das Statut unterzeichnet hatte, unter George W. Bush junior die Unterschrift zurückgezogen und einen wahren Amoklauf gegen den IStGH vom Zaun gebrochen.

Es fehlen die Mitglieder des Sicherheitsrats der UNO China und Russland. Es fehlen die beiden Atommächte Indien und Pakistan. Weder Israel noch die arabischen Staaten des Nahen Ostens, außer Jordanien und Djibouti, weder Iran noch Irak, auch nicht Nordkorea sind Partner des Statuts. Zurückgehalten haben sich die Nachfolgestaaten der Sowjetunion außer den baltischen Staaten und Georgien sowie Tadschikistan. Erstaunlich viele Staaten Afrikas sind Partner des Statuts, nämlich 30 von 48. Bezeichnenderweise fehlen Ruanda, Simbabwe, Somalia und Sudan. Solange kein höherer Grad an Ratifikationen des Statuts, vor allem durch die großen Mächte und die Staaten in Konfliktregionen erreicht ist, werden die Autorität, Reichweite und Wirkungskraft des IStGH empfindlich geschmälert sein.

Die Strafbarkeit des Verbrechens der Aggression ist ausgesetzt. Der nach Inkrafttreten des Statuts vom Zaun gebrochene Aggressionskrieg gegen Irak war straffrei! Die Gerichtsbarkeit des IStGH über das Aggressionsverbrechen kann erst dann ausgeübt werden, wenn eine Einigung über die Definition dieses Verbrechens und über »die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Hinblick auf dieses Verbrechen« getroffen ist. Diese Einigung soll auf der Konferenz zur Überprüfung des Statuts erreicht werden, die noch in diesem Jahr stattfinden müsste.

Eine Special Working Group hat nach jahrelangem Hin und Her den Entwurf einer Resolution vorgelegt, die eine Definition enthält, die der Aggressionsdefinition der UNO von 1974 nachgebildet ist. Die Hürde liegt auf einem anderen Gebiet. Die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats wollen durchsetzen, dass der Gerichtshof das Aggressionsverbrechen erst dann verfolgen darf, wenn der Sicherheitsrat vorher das Vorliegen einer Aggression festgestellt hat. Damit könnten sie kraft des Veto-Rechts jedes Verfahren wegen Aggressionsverbrechen verhindern. Andere Staaten unterbreiten andere Ideen. Die Aussichten für eine Einigung über die erforderliche Statutenänderung zum Aggressionsverbrechen und für deren Inkrafttreten sind schlecht.

Der Wirksamkeit des Gerichtshofs stehen statutarische Hürden entgegen und seine Praxis ist einäugig. Der IStGH soll die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit »ergänzen«. Er kommt nur dann zum Zuge, wenn ein Staat »nicht willens oder in der Lage« ist, die Verbrechen selber »ernsthaft« zu verfolgen. »Selbstverständlich« brauchen die »mustergültigen« westlichen Rechtsstaaten den IStGH nicht, denn sie haben alles bestens geregelt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich ein eigenes Völkerstrafgesetzbuch zugelegt, um zu zeigen, dass sie »willens und in der Lage« ist, auch ohne internationale Strafgerichtsbarkeit auszukommen. Die unwilligen und unfähigen Staaten liegen außerhalb des Gebiets der NATO und der EU, gegenwärtig vor allem in Afrika. Verfahren können zustande kommen, wenn ein Vertragsstaat oder der UNO-Sicherheitsrat dem Ankläger eine Situation unterbreiten, »in der es den Anschein hat,« dass einschlägige Verbrechen begangen wurden.

Gegenwärtig laufen vier Verfahren. Sie betreffen die Situation in Uganda, Kongo, der Zentralafrikanischen Republik und Darfur (Sudan). Den letzteren Fall, der dem Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir zugrunde liegt, hat der Sicherheitsrat mit der Resolution 1593 bei Enthaltung Algeriens, Brasiliens, Chinas und der USA dem Gerichtshof unterbreitet. Der Ankläger kann aufgrund von Informationen mit Genehmigung einer Gerichtskammer auch aus eigener Initiative Ermittlungen einleiten. Bisher ist er auffällig zurückhaltend. Seit 2002 hat der Ankläger 7900 Informationen aus 170 Ländern erhalten. Ein Verfahren hat sich daraus nicht ergeben. Zum Krieg in Irak sah der Ankläger keine Grundlage für Ermittlungen. Es gab nach seinem Befund dafür eine zu geringe Anzahl von zivilen Todesopfern! 12 Haftbefehle gegen Afrikaner sind erlassen. Vier Beschuldigte sitzen in den Haag ein. Der Gerichtshof hat logischerweise keine Polizei, die Haftbefehle vollziehen könnte. Er ist auf die Zusammenarbeit mit den innerstaatlichen Behörden angewiesen.

Ich halte den IStGH trotz dieser Grenzen und Hemmnisse für eine zivilisatorische Errungenschaft. Allein seine Existenz kann ein Signal mit abschreckender Wirkung sein. Eine drohende Gerichtsbarkeit für internationale Verbrechen ist allemal besser als garantierte Straffreiheit. Ich denke dabei auch an die Artikel 27 bis 33 des Statuts. Dort wird festgelegt, dass die »amtliche Eigenschaft als Staats- und Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut« enthebt und auch keinen Strafmilderungsgrund darstellt.

Die Berufung auf Immunität ist kein Grund für Straflosigkeit. Militärische Befehlshaber unterliegen ebenfalls der Strafverfolgung. Sie können die Verantwortung für Verbrechen nicht auf Untergebene abschieben. Die Verbrechen nach dem Statut verjähren nicht. Das ist gut so. Aber solange der IStGH um die Verantwortung von George W. Bush, Donald Rumsfeld und anderen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Bogen macht, ist der Haftbefehl gegen einen amtierenden afrikanischen Staatschef in Afrika für Frieden und Menschenrechte eher kontraproduktiv.

Prof. Dr. Gregor Schirmer, 1932 in Nürnberg geboren, ist Völkerrechtler. In der DDR war er Dozent für Völkerrecht an der Universität Jena, Mitglied der Volkskammer und Stellvertreter des Staatssekretärs für Hoch- und Fachschulwesen. Heute ist Gregor Schirmer im Ältestenrat der Linkspartei aktiv sowie Mitglied im Marxistischen Forum. Bei Kai Homilius erschien 2008 sein Buch »Lissabon am Ende? Kritik der EU-Verträge«.

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