Symbolisches Stoppschild

Die Sperren kommen, ihre Wirkung ist fragwürdig

Fünf große Internet-Anbieter haben sich am Freitag verpflichtet, kinderpornografische Seiten im Internet zu sperren. Am kommenden Mittwoch will das Kabinett zudem einen Gesetzentwurf beschließen, der die Rechtsgrundlage für die Zugangssperrung liefern soll.

Ganz freiwillig ist der Vertrag nicht zu Stande gekommen. Die Provider haben sich vielmehr lange gesträubt, Internetsperren für Kinderpornografie einzuführen. Dass Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Alice, Kabel Deutschland und Telefonica O2, die drei Viertel des Internet-Marktes abdecken, nun doch von ihrer »moralischen und gesellschaftlichen Verpflichtung« reden, liegt an der wirksamen Öffentlichkeitsarbeit Ursula von der Leyens (CDU). Die Abscheulichkeit von Kindesmissbrauch macht es ihr leicht. Der Verweis darauf reichte der Familienministerin, um in den vergangenen vier Monaten alle rechtlichen und technischen Einwände vom Tisch zu wischen. Wer kann es sich schon leisten, in Verdacht zu geraten, Kinderschänder zu schützen?

In spätestens sechs Monaten sollen die Sperren stehen: Internetnutzer werden dann mit einem Stoppschild verwarnt, wenn sie eine Seite anklicken, die auf der schwarzen Liste des Bundeskriminalamts steht. So sollen die 80 Prozent der Gelegenheitstäter, von denen das BKA ausgeht, abgeschreckt werden. Die »Hardcore-Nutzer« müssten weiter mit repressiven Maßnahmen verfolgt werden, wie BKA-Chef Jörg Ziercke sagte.

Die Bundesbehörde will die Listen mit etwa 1000 Internetseiten täglich akualisieren und an die Diensteanbieter übermitteln. Schätzungsweise 450 000 Zugriffe könnten so täglich verhindert werden. Die Zahl ist eine Hochrechnung aus Norwegen und Schweden, wo es diese Sperren bereits gibt.

Die Diskussion über die Verfolgung von Kinderpornos im Netz ist schwierig. Oft ersetzt Stimmung eine kritische Prüfung. Eine Meldung des baden-württembergischen Landeskriminalamts macht das deutlich. Den Ermittlern war es am Donnerstag gelungen, eine Internettauschbörse zu zerschlagen. Für Ursula von der Leyen bestätigt das vor allem, wie nötig ihr Vorhaben ist. Dabei gibt der Fall eher den Kritikern recht, die der Ministerin vorhalten, mit falschen Annahmen zu operieren und Zusammenhänge zu verschleiern. Denn so gut die Nachricht in die allgemeine Stimmung passt: Tauschbörsen, wie die aufgedeckte, lassen sich durch Filter nicht verhindern.

Internetexperten bezweifeln, dass die Sperren funktionieren. Das gewählte Verfahren einer Sperrung über das »Domain Name System« (DNS) sei von allen denkbaren am leichtesten auszutricksen. Zu diesem Schluss kommt auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Ein Umgehen sei »mit einem vergleichsweise geringen Aufwand möglich«. Nutzer können beispielsweise statt der Internet-Adresse die IP-Adresse in ihren Browser eingeben.

Rund 200 Datenschützer und Netzaktivisten protestierten deshalb am Freitag in Berlin gegen die Filter. Es sei besser, die Hersteller und Täter direkt zu verfolgen. »Da die Server erst dann auf die BKA-Sperrlisten gelangen können, wenn sie den Ermittlern bekannt sind, gibt es keine Ausrede der Strafverfolger, nicht unmittelbar gegen die Betreiber vorzugehen. Entsprechende Anstrengungen zur internationalen Kooperation und effektiven Strafverfolgung liegen aber offenbar gerade nicht im Fokus der Politik«, sagt Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club. Die Kritiker befürchten, dass es nach den Kinderporno-Seiten bald auch in anderen Bereichen zu Sperrungen kommen könnte. Dafür sei lediglich eine Anpassung der Filterliste notwendig. Der Zensur des Internets sei damit Tür und Tor geöffnet.

Dem gestern unterzeichneten Vertrag soll noch in dieser Legislatur ein Gesetz folgen. Dies entspricht nicht nur der Forderung der Provider, die sich damit absichern wollen. Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) äußerte grundrechtliche Bedenken und fordert eine sichere gesetzliche Grundlage. Am Mittwoch will das Bundeskabinett den entsprechenden Gesetzentwurf dazu verabschieden, der auch die restlichen Internetanbieter binden soll. Die SPD kündigte allerdings bereits einen eigenen Gesetzentwurf an.


DNS-Sperre

Um eine Webseite zu erreichen, muss ein Seitenname, z.B. www.bmi.bund.de, der richtigen IP-Adresse zugeordnet werden. Die IP-Adresse ist eine jeweils nur einmal vergebene 32-stellige (künftig 128-stellige) Nummer, die den jeweiligen Rechner eindeutig identifiziert. Diese Zuordnung übernehmen DNS-Server genannte Computer bei den Netzbetreibern. Werden dort bestimmte Adressen gesperrt, sind sie nur noch zugänglich, wenn der Nutzer die IP-Adresse kennt und direkt eingibt oder über einen anderen DNS-Server geht (der entsprechend im Betriebssystem eingetragen wird). Die Methode wirkt also nur begrenzt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal