Das lukrative Geschäft mit den Erwerbslosen

Wie sich vermeintliche Sozialunternehmen in der Hauptstadt am System Hartz IV bereichern

  • Holger Marcks
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Berliner Arbeitsmarkt ist eng. Durch die aktuelle Krise wird sich die Situation noch verschlechtern. Viele Menschen in der Hauptstadt sind auf staatliche Hilfen angewiesen. Die Jobcenter pumpen Riesensummen in Beschäftigungsmaßnahmen, mit denen Betroffenen Druck gemacht wird, neue Arbeit zu finden. Um das System Hartz IV herum aber ist eine regelrechte Industrie entstanden, die an der Arbeitslosigkeit noch verdient.

Die Investitionen sind immens: Fast eine halbe Milliarde Euro gaben die zwölf Berliner Jobcenter 2008 für Beschäftigungsmaßnahmen aus. Dazu kamen hohe zweistellige Millionenbeträge aus Landes- und EU-Geldern, mit denen Projekte über Serviceunternehmen (siehe Kasten) ko-finanziert wurden. Für jeden betreuten Erwerbslosen erhalten die Träger Fallpauschalen von 200 bis 500 Euro im Monat. Besonders mit den »Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung« (MAE), besser bekannt als Ein-Euro-Jobs, die seit ihrer Einführung zunehmend kostenintensivere ABM-Maßnahmen verdrängen, können schnell viele Erwerbslose »beschäftigt« werden. Legen größere Träger also etwa wenig aufwendige Projekte für Gruppen von 50 bis 100 Arbeitslosen auf (Beispiel: »Spielplatzkümmerer«), wird es für sie lukrativ.

»Träger-Mafia«

Der Berliner Ver.di-Bezirkser- werbslosenausschuss deckte bereits 2007 auf, wie sich Unternehmen aus der Normalwirtschaft durch eigens gegründete Tochtergesellschaften oder durch Erweiterung ihrer Gesellschaftsverträge als Träger qualifizieren, um auf diesem Markt tätig zu werden. Zusammen mit anderen, darunter regelrechten Sozialkonzernen, ringen sie um die von den Jobcentern vergebenen Aufträge. Bernd Wagner, Vizevorsitzender des Ver.di- Gremiums, spricht spöttisch von einer »Träger-Mafia«. Demnach »haben in manchen Jobcentern die Trägervertretungen aus den Bezirksämtern das Sagen«. Kenner der Branche meinen gar, dass der Sturz der Geschäftsführung des Jobcenters im Bezirk Mitte Ende 2008 mit der Einflussnahme des größten Berliner Trägers, Goldnetz, zu tun hatte, der sich bei der Auftragsvergabe übergangen sah.

In der Tat ist die Beschäftigungspolitik der Jobcenter höchst unterschiedlich, in manchen Bezirken stecken überproportional viele Erwerbslose in Projekten. Glaubt man Wagner, so gibt es in verschiedenen Jobcentern Beiräte, in denen Begünstigte solcher Aufträge selbst sitzen und Projekte nur abnicken. Es ist jedoch schier unmöglich, von den Jobcentern genaue Zahlen und Auftragslisten zu erhalten. Die Verschwiegenheit gehört zum Programm der eigenwilligen Jobcenter. Hinzu kommen die Interessenvertretungen der Träger, die ihren Einfluss etwa in bezirkspolitischen Gremien geltend machen.

Laut Bundesarbeitsagentur wurden 2008 in der Region Berlin-Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen 400 Vertragsstörungen durch nicht ordnungsgemäß arbeitende Träger sanktioniert. Obwohl der Sanktionskatalog der Agentur teils drastische Konsequenzen wie Schadensersatz und Strafanträge vorsieht, bleibt es meist bei symbolischen und halbherzigen Maßnahmen, um den »Mittelabfluss« nicht zu unterbrechen. Die Jobcenter belassen es häufig bei Mahnungen; Rückforderungen gibt es selten, von einer schwarzen Liste unseriöser Träger ist nichts bekannt.

Auch in der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales sieht man das nicht so eng. Hans-Jürgen Michelmichel vom Ressort Beschäftigungsförderung meint gar, die Jobcenter würden noch zu wenig Rücksicht auf die Träger nehmen. Diese stünden unter hohem Druck, nicht auszubluten und in der Konkurrenz um die Auftragsvergabe zu bestehen. Auch die Interessenvertretungen der Träger nehmen zur Kenntnis, dass es schwarze Schafe in der Branche gibt, halten die bestehenden Kontrollinstrumente jedoch für ausreichend. Laut Frank Holzmann von der Interessenvertretung Freier Träger Marzahn-Hellersdorf werden Missstände bei der Klientel gelegentlich »intern thematisiert«. Ansonsten sehe sich die Vertretung nicht in der Verantwortung.

Arbeitslos durch MAE

Unabhängig vom anzunehmenden Profitkalkül mancher Träger stellt sich die allgemeine Kosten-Nutzen-Frage. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden etwa Ein-Euro-Jobber im Schnitt später in Arbeit vermittelt als andere Langzeitarbeitslose – ein Sachverhalt, der sich auch in einem Prüfbericht des Bundesrechnungshofes 2008 findet. Für Michelmichel liegt dieser »Verpuffungseffekt« auch darin begründet, dass die Maßnahmen nicht in Konkurrenz zum 1. Arbeitsmarkt stehen dürfen und deshalb keine ordentliche Qualifizierung ermöglichen. Für ihn steht deshalb die »soziale Stabilisierung« der Erwerbslosen im Vordergrund. Für manch einen klingt das zynisch, sind doch viele Erwerbslose wegen ihrer prekären Finanzlage sozial instabil. Es ist bezeichnend, dass die 200 000 Berliner Erwerblosen je 2500 Euro€ mehr im Jahr hätten, wenn ihnen die Beschäftigungsgelder direkt zugute kämen. So aber unterhält sich eine graue Branche allein von öffentlichen Geldern und verkommt zu großen Teilen zum Selbstzweck.


Zahlen und Fakten

In Berlin gibt es knapp 60 größere und 450 kleinere Träger. Etwa 37 000 Menschen befinden sich monatlich in einer vom Jobcenter auferlegten Maßnahme, die meisten von ihnen in MAE. In Reinickendorf etwa steckt fast jeder zehnte Erwerbslose in einer ABM, in Lichtenberg dagegen nur einer von 145. Fast 600 Millionen Euro standen den Berliner Jobcentern 2008 zur Verfügung, 440,9 Millionen davon entfielen auf ABM, MAE, Qualifizierung und Beschäftigungszuschüsse. Das Jobcenter Mitte verwendete 72 Prozent seiner Mittel allein für ABM und MAE. HM

Die Comovis GbR

Die Comovis GbR umfasst drei Serviceunternehmen – GSub, SPI Consult und ZiZ – und arbeitet im Auftrag des Senats als Treuhänder in Sachen Beschäftigungsförderung. 61,2 Millionen Euro aus EU- und Landesgeldern verteilte sie 2008 allein für ABM- und ÖBS-Projekte. Für MAE liegen keine Zahlen vor. Seit 1991 hat die SPI Consult 800 Millionen Euro weitergeleitet; jährlich ko-finanziert sie 1500 Projekte. Was die Comovis-Unternehmen für diese Dienstleistung vom Senat erhalten, gibt der Senat nicht bekannt, da es sich um einen privatrechtlichen Vertrag handelt, obwohl auch dies aus öffentlichen Geldern bezahlt wird. HM

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