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In jenem Herbst war der Weltgeist in Berlin

Geschichtsforum 1989/2009: Europa zwischen Teilung und Aufbruch

Anmut sparet nicht, noch Mühe ...« – Mit diesem Lied, von einem Jugendchor vorgetragen, endete die offizielle Eröffnung des Geschichtsforums in Berlin. Dem Bürgerfest am vergangenen Wochenende soll nun ein Bürgerforum folgen, mit insgesamt 200 Veranstaltungen zum Jahr 1989.

Wie schon bei anderen Gelegenheiten, da an die Friedliche Revolution vor 20 Jahren erinnert wurde, vermisste man auch am Donnerstagabend im Schlüterhof des Zeughauses Unter den Linden, dem Domizil des Deutschen Historischen Museums, die eigentlichen Akteure des damaligen Umbruchs. Anwesend waren vielleicht gerade mal ein Dutzend, darunter die Üblichen, die von Amts wegen anwesend zu sein hatten oder sein wollten: Thomas Krüger, ehemals Neues Forum, heute Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Markus Meckel, einst Mitbegründer der ostdeutschen Sozialdemokratischen Partei (SDP), den vorherigen Rostocker Pfarrer Joachim Gauck, Vorsitzender des Vereins »Gegen Vergessen – für Demokratie«, sowie die Katechetin und Sprecherin von Bündnis 90, Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen. Sie erschien in einer zerknitterten Leinenhose und zu kurzem, gleichfalls knittrigem Seidenjäckchen. Ausdruck ihres inneren Gemütszustandes? Nein, obwohl sie derzeit heftige Angriffe auf ihre Behörde abzuwehren hat, strahlte sie über das ganze Gesicht.

Interessanter freilich waren die fast revolutionären Töne, die einige Referenten von sich gaben. Nun, über Revolution reden lässt sich leicht, aber Revolution machen ...

Und, haben wir nicht schon Wahlkampf? Der Sozialdemokrat Krüger zitierte den marxistischen Philosophen Walter Benjamin: »In diesen Tagen darf sich niemand auf das versteifen, was er kann. In der Improvisation liegt die Stärke. Alle entscheidenden Schläge werden mit der linken Hand geführt werden.« Der oberste Bildungsträger Deutschlands fügte nachdrücklich hinzu: »Das, meine Damen und Herren, galt 1989, es gilt heute, und es wird vor dem Erreichen paradiesischer Zustände auch in der Zukunft gelten.«

Hortensia Völckers wiederum, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, entdeckte Immanuel Kant für sich, der zehn Jahre nach der Großen Französischen Revolution von 1789 geschrieben hatte: »Denn ein solches Phänomen in der Menschengeschichte vergisst sich nicht mehr, weil es eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat, dergleichen kein Politiker aus dem bisherigen Lauf der Dinge herausgeklügelt hätte.« Bei allen Unterschieden sei auch 1989 ein solches Geschichtszeichen gewesen.

Aber hat der Enthusiasmus jener großen Wende, fragte Hortensia Völckers, einen prägenden Platz in unserer nationalen Identität bekommen? »Lebendige Erinnerung lebt von Unterschieden, Zwischentönen, Streit und offenen Fragen. Das ist gemeint mit: ›Wir müssen reden!‹« erklärte sie das Motto des Geschichtsforums, das denn auch an allen Veranstaltungsorten Unter den Linden plakatiert ist.

Doch wie redet man miteinander, wenn die einen nicht erwünscht sind und andere nicht kommen wollen – von jenen, die damals vor zwanzig Jahren auf die eine oder andere Weise, mehr oder minder involviert waren. Bleibt zu hoffen, dass die Gäste zur Auftaktveranstaltung, zu der DHM-Direktor Hans Ottomeyer in seiner Mainzer Frohnatur und Gelassenheit begrüßt hatte, nicht repräsentativ auch für all die folgenden Foren sind: Honoratioren der Stadt und Institutsdirektoren nebst einigen Alibi-Ossis, die keinesfalls prototypisch für die friedlichen Revolutionäre von 1989 sind. Wie etwa Gauck, der – von ihm leise eingestanden – nicht an vorderster Front gekämpft hatte, damals. Dafür kämpfte er hernach um so energischer. »Wir konnten nicht zulassen, dass die sozialistischen Globkes in ihren Ämtern und Positionen in Staat und Gesellschaft blieben«, bekräftigte er. Meckel wollte ihm in kämpferischem Gestus wohl nicht nachstehen und griff verbal seine Vorrednerin Hortensia Völckers an: »Der Begriff ›Wende‹ ist falsch. Das ist ein Wort, das Egon Krenz geprägt hatte«, belehrte er sie.

Sachlich und ruhig blieb Timothy Garton Ash. Der Geschichtsprofessor aus Oxford sah – in Anlehnung an Hegel – den Weltgeist in Berlin und charakterisierte die gesellschaftlichen Umwälzungen von 1989 als ein neues Revolutionsmodell, welches das alte jakobinisch-kommunistische abgelöst habe. Ash hatte seinerzeit nicht nur die DDR, auch die anderen osteuropäischen Staaten besucht, Gespräche mit Dissidenten wie mit Eliten in Staat und Gesellschaft geführt.

Er bedauerte, dass die Erinnerung an das ost-mittel-europäische '89 nicht gesamteuropäisches Gemeingut sei. Zum Schluss überraschte der Brite mit einem Appell an Deutschland, sich stärker in der europäischen Außenpolitik zu engagieren. Gibt es da einen Zusammenhang zu 1989?

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