Wie Vögel singen lernen
Verführen, warnen, Verwandte erkennen – Zwitschern hat viele Funktionen
Verschwenderisch hat die Natur Vögel mit vielfältigen Stimmen und Melodien ausgestattet. Dieser Aufwand hat viele Funktionen. Zunächst markiert ein Vogelmännchen sein Revier mit Hilfe seiner Lieder und warnt Nebenbuhler vor dem Eindringen: »Besetzt!« Da macht es Sinn, dass jede Art ihren speziellen Gesang hat, der nur von den Artgenossen verstanden wird. Das gilt auch für die potenzielle Partnerin, die das Männchen zum Nistplatz locken will.
Der Umworbenen wiederum verrät der Balzgesang einiges über den Sänger. Hat ein Vogelhahn eine tiefere Stimme als seine Artgenossen, besitzt er einen längeren vokalen Trakt, was dem Weibchen Rückschlüsse auf dessen Körpergröße erlaubt. »Gerade bei Vögeln, bei denen das Federkleid viel von den wahren Konturen verhüllt, kann also die Stimmlage auch die Größe anzeigen«, hat Wolfgang Forstmeier vom Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie in einer aktuellen Studie mit Zebrafinken herausgefunden.
Wie aber lernen nun die Jungvögel das Singen ihrer Art, oder ist es ihnen in die Gene gelegt? Neuere Studien legen nahe, dass oft eine Kombination von beidem vorliegt. Die meisten Vögel erben von ihren Eltern eine Grundanlage ihres typischen Gesangs, die Männchen lernen dann vom Vater oder männlichen Gruppenmitgliedern durch Zuhören und Nachahmen die Feinheiten. Forstmeiers Studie zeigt, dass das Gesangsrepertoire der Weibchen angeboren ist: Alle Weibchen zwitschern das gleiche Stückchen »Text«, das aber in ganz verschiedenen Stimmlagen, mal nasal, mal kratzig oder klangvoll. »An diesen Klangeigenschaften können sich die Zebrafinken gegenseitig individuell erkennen«, erklärt Forstmeier.
Männliche Zebrafinken hingegen lernen ihren Ruf und ihr Lied von einem Tutor, indem sie Silben älterer Geschlechtsgenossen nachsingen. Diese kulturelle Weitergabe hat eine gewaltige Vielfalt an »Texten« hervorgebracht. Das Team um Forstmeier hat nun mit einer Stimmerkennungssoftware die klanglich charakteristischen Eigenschaften der einzelnen Vögel isoliert. »Überraschenderweise zeigen die Brüder unabhängig von ihrer ›sprachlichen Erziehung‹ ebenso die familienspezifischen kratzigen, nasalen oder klangvollen Stimmen wie ihre Schwestern.« Die Forscher vermuten, dass diese erbliche Eigenschaft den Vögeln dazu dient, Verwandte zu erkennen.
Doch es geht auch ohne Lehrer, zeigt eine Anfang Mai veröffentlichte Studie von Olga Fehér von der Universität New York ebenfalls mit Zebrafinken. Fehér isolierte männliche Jungvögel, bevor diese das Singen von den Erwachsenen lernen konnten. Auch sie begannen irgendwann zu trällern, doch ihr Lied klang deutlich anders als das der in Gruppen lebenden Vogelhähne. Dann wurden jedem Isolationshäftling drei Weibchen zugeteilt, mit denen sie sich paarten. Die nächste Generation lernte den Gesang vom ersten Männchen – aber mit Abwandlungen. Schon nach drei bis vier Generationen setzte sich wieder der Gesang der ursprünglichen Gruppe durch, zu der keines der isolierten Individuen je Kontakt hatte. Der arttypische Gesang muss also auch eine genetische Grundlage haben.
Zu diesem Ergebnis kamen auch MPI-Ornithologen in einem Experiment mit Schilfrohrsängern. Es war bereits bekannt, dass weibliche Vögel den Partner mit dem komplexesten Lied wählen. Durch diese Wahl, so die Annahme, würde die Fähigkeit zu immer komplexeren Gesängen vererbt, durch das Lernen von Artgenossen verfeinert und die für die Gesangskontrolle zuständige Gehirnregion verstärkt.
Die Forscher um Stefan Leitner zogen Schilfrohrsänger in akustischer Isolation auf, eine andere Gruppe war vom Gesang ihrer Artgenossen umgeben. Dabei stellte sich heraus, dass die isoliert aufgewachsenen Vögel normale Gesänge, zum Teil sogar vielfältigere als ihre geselligen Artgenossen produzierten. In den zuständigen Gehirnregionen konnten auch keine Unterschiede festgestellt werden, wobei diese Hirnregionen bei den Männchen generell größer waren als bei den Weibchen.
Singvögel lernen ihren Gesang ähnlich wie Menschenkinder in einer bestimmten Entwicklungsphase. »Ein Kleinkind brabbelt zuerst, mit sechs Monaten lernt es die ersten Vokale, mit einem Jahr die ersten Konsonanten«, erklärt Richard Hahnloser vom Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich. Zebrafinken beginnen rund 30 Tage nach dem Schlüpfen zu »brabbeln« wie kleine Kinder. »Durch Üben und das Ausprobieren von Geräuschen nähern sie sich dem Vorbild der ›Muttersprache‹ an.«
»Dieses Brabbeln beim Singenlernen ist ein Beispiel für das Erkundungsverhalten, das wir oft Spiel nennen, das aber unentbehrlich ist für Lernen durch Versuch und Irrtum«, schreibt Michael Fee, Gehirnforscher am Massachusetts Institute of Technology im Fachjournal »Science«. Vor einem Jahr entdeckte Fee, dass Zebrafinken für das Lernen von Gesang und für das Singen selbst zwei verschiedene Teile des Gehirns nutzen. In dieser Lernphase muss der Jungvogel permanent seinen eigenen Gesang hören, mit der Vorlage seines Tutors vergleichen und an sie anpassen. Dieses »auditorische Feedback« leisten Nervenzellen in der Hörrinde und nicht wie bisher angenommen das für den Gesang zuständige Gehirnareal. Hahnloser identifizierte Nervenzellen, die dem Gesang »zuhören«, ihn aktiv verfolgen, und solche, die nur auf Stör- und Hintergrundgeräusche reagieren, die die Forscher ihren Probanden vorspielten. »Das Störgeräusch führt dazu, dass das, was der Vogel tatsächlich hört, von dem abweicht, was er zu hören erwartet«, erläutert Hahnloser das Experiment. »Den Unterschied zwischen Erwartetem und tatsächlich Gehörtem zu erkennen, bildet die grundlegende Voraussetzung, um singen oder sprechen zu lernen.«
Dieses komplexe Lernverhalten befähigt manche Vögel, artfremde Gesänge nachzuahmen, wie die Singdrossel, die gleich mit einem bunten Strauß von fremden Vogelstimmen volltönend einen Sexualpartner sucht. Amseln pfeifen eine Zeile aus Beethovens »Für Elise« nach, die regelmäßig ein Eiswagen im Dorf abspielt, oder sie haben inzwischen Handy-Klingeltöne im Repertoire. Die Amsel signalisiert sogar mit unterschiedlichen Rufen, ob der Feind am Boden lauert oder in der Luft.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.