Langer Abgang des Spargels

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Vignette: Chow Ming
Vignette: Chow Ming

Bin gerade zurück in Hongkong von einem Besuch in der Heimat. Dort stand Spargel auf fast allen Speisekarten. Mit 50 Hongkong-Dollars (5 Euro) pro Kilo für die meisten Chinesen hier ein zu teures Vergnügen. Dabei ist Spargel (Asparagus officinalis) nicht nur als Delikatesse beliebt, sondern hat (vielleicht wegen seiner Form) auch den hartnäckigen Ruf, ein Aphrodisiakum zu sein. Das nun wäre interessant für die Chinesische Medizin! Das Wort »officinalis« bedeutet übrigens »für medizinische Zwecke nutzbar«.

Spargel wirkt harntreibend. Doch warum riecht der Urin nach dem Genuss so merkwürdig? Gängige Medien machen immer wieder das im Spargel enthaltene Asparagin verantwortlich. Das eigentlich solide ZDF-Praxis-Magazin »Gesundheit« brachte für den verstärkten Harndrang zusätzlich den hohen Gehalt an Kalium ins Spiel, was wissenschaftlich belegt ist. Doch auch hier gab es Spekulationen um den vermeintlichen Aromastoff Asparagin.

Spargel enthält sehr viel Asparagin, das stimmt. Aber diese Aminosäure verdampft nicht und ist deshalb geruchlos. Schon 1830 gab man Personen Asparagin zu essen und examinierte danach den Urin: keine Auffälligkeit! So ist der Name zwar vom Asparagus abgeleitet, aber diese Aminosäure hat nichts mit dem seltsamen Geruch zu tun.

Es ist wohl Schwefel, der für die besondere Note beim Spargel sorgt. Als Ursache gelten die in den Spargelstangen gefundenen schwefelhaltigen Verbindungen. Vermutlich sind sie und ihre Abbauprodukte für den Geruch verantwortlich. Und ist nicht auch der Teufel vom Schwefelgestank umgeben? Jetzt ist alles klar!

Doch probieren wir es noch einmal wissenschaftlich. Spargel gehört zu den Liliengewächsen (Asparagales) wie Zwiebel, Schnittlauch oder Knoblauch. Diese haben bekanntlich ein reiches Spektrum an schwefelhaltigen Geruchsstoffen. Bei Zwiebel und Knoblauch handelt es sich um Cysteinsulfoxide. Knoblauch enthält außerdem das S-Allyl-cystein-sulfoxid. Beim Anschneiden der Zwiebel wird daraus unter Mitwirkung eines Enzyms der tränentreibende Geruchsstoff Allicin. Der hat eine Schwefelbrücke (-S-S-) im Molekül.

Im »Römpp-Lexikon Lebensmittelchemie« kann man lesen: Unter den zahlreich nachgewiesenen Inhaltstoffen des Spargels dominieren schwefelhaltige Verbindungen, z. B. 1,2-Dithiol und 1,2-Dithiolan-4-carbonsäuremethylester mit ausgesprochenem Spargelaroma. »Mengenmäßig überwiegen der Ester sowie die zugehörige 1,2-Dithiolan-4-carbonsäure. Letztere heißt auch Asparagussäure.« Aha! Hier könnte die Quelle des immer wieder veröffentlichten Missverständnisses liegen: Die falsche Zuschreibung der Aromafunktion auf das ähnlich klingende Asparagin.

Richtig ist also: Der nach dem Verzehr von Spargel eintretende typische Geruch des Urins ist offenbar auf schwefelhaltige Abbauprodukte zurückzuführen. Diese Reaktionen laufen in unserem Körper ab und sind keineswegs exotisch. Andererseits gibt es viele Menschen, die genetisch bedingt keine Enzyme zur Metabolisierung der Spargelaromastoffe haben – dann riecht es »normal«. Und wieder andere riechen nicht gut genug, um den schlechten Geruch selbst wahrzunehmen.

Das Geruchsproblem beeinträchtigt jedenfalls meinen Spargel-Heißhunger fern der Heimat nicht. Ich frage meine Studenten, ob ihnen der veränderte »Duft« auf der Toilette auch geläufig ist. Doch so intime Fragen stellt man Chinesen eigentlich nicht ... Die meisten haben ohnehin noch nie den teuren Spargel gegessen.

Ein Pfiffikus schlägt vor: »Professor Renneberg, wir könnten doch wieder mal einen biochemischen Gruppen-Versuch machen. Im deutschen Restaurant an der Nathan-Road gibt es Deutsche Spargelwochen. Wir kommen gern, wenn Sie uns einladen!«

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