Die neue Wahlverwandtschaft

Wie sich »Der Spiegel« und »Bild« geistig umarmen – das Buch »Unter Linken« von Jan Fleischhauer

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 6 Min.

Manchmal gibt es Texte, die ratlos machen können. Da liegt das Buch, es ist Samstag, die Uhr tickt, draußen regnet’s. Stille. Eine Möglichkeit weniger qualvoller Annäherung wäre – Satire: Es war eine schwere Kindheit, die Villenviertel-Jan durchleben musste. Keine Cola, kein Hamburger, keine Orangen.

Aber dann geht einem auch schon die Puste aus, was konsequenterweise dem Niveau von Jan Fleischhauers Buch »Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde« entspricht. So bleibt nichts, als doch den steinigen Weg zu gehen – hinein in diese Ansammlung neoliberal geprägter Klischees, geklammert mit biografischen Anekdoten und lackiert mit dem modischen Chic des »68er-Bashings«.

Letzteres hat Villenviertel-Jan übrigens mit Gutmenschen-Kai gemeinsam. Der hat unter seinem bürgerlichen Namen Kai Diekmann vor einiger Zeit ebenfalls ein Buch geschrieben – »Der große Selbstbetrug« – in dem er sich gleichfalls auf die 68er einschießt, nur hier heißen sie »Gutmenschen«: »Solange dieses Land noch arm war und das Leben hart, war die idealistische Träumerei einiger Weniger kein Problem. Heute allerdings ist der Gutmensch zum Problem, zur Plage geworden.«

Richtig erkannt – das ist original »Bild«-Zeitungs-Zynismus. Diekmann ist 1964 geboren und Chefredakteur von »Bild«. Fleischhauer ist 1962 geboren und Redakteur beim »Spiegel«. Und diese Tatsachen können auch nur der einzige Grund sein, um diese Bücher in die Hand zu nehmen: Sie geben Auskunft über das neoliberal geprägte Milieu von Medien-Männern in den Vierzigern und darüber, wie ein Nachrichtenmagazin auf den Hund kam.

Bei Villenviertel-Jan geht die Klage darum, dass dort, wo er aufgewachsen ist – eben ein Hamburger Villenviertel – »alle links« waren. Allen voran die Eltern, die dem Buben politisch nicht-korrekte Lebensmittel wie spanische Orangen aus dem Spanien Francos verweigern (aber den Lebensabschnitt haben wir ja schon oben behandelt). Auch hält sich Villenviertel-Jan selbst lange Zeit für links, freilich gibt ihm eine ehemalige Schulkameradin mitleidig zu verstehen: »Jan, du warst doch noch nie richtig links, das war doch bei dir immer nur Pose«.

Was ihn nicht daran hindert, als Mann im besten Alter und mit den besten Sozialversicherungsbedingungen, 14 Monatsgehältern und Gewinnbeteiligung beim »Spiegel« »konservativ« zu werden. Freilich ein heroischer Kampf: »Ich war erschrocken über mich selbst, aber auch ein klein wenig stolz«, berichtet uns Villenviertel-Jan über sein tapferes Bekenntnis Freunden gegenüber, er habe gerne in den USA gelebt. Der Autor hat mittlerweile sein Problem übrigens ganz gut im Griff: »Inzwischen habe ich gelernt, mit meinen Konservativsein offensiv umzugehen.«

Ja, das wäre dann der Punkt, an dem man sagen könnte, das lässt sich als Satire gar nicht mehr toppen, der Autor pflegt ja selbst einen durchaus launigen Stil. Das Buch ist eher der Provokanten-Riegel für zwischendurch als eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit der Geschichte der Linken. Und ist nicht Jörn Schulz in der »Jungle World« zuzustimmen, wenn er schreibt: »Mir jedenfalls ist es lieber, wenn die Fleischhauers, Barings und Wagners sich lauthals und ausdauernd wegen ihrer Leiden unter dem linken Terror bemitleiden und weiter eifrig daran arbeiten, das Niveau des deutschen Konservatismus zu senken«.

Aber es bleibt immer noch das Phänomen, dass Villenviertel-Jans Wahrnehmung seltsame Dellen aufweist, was über die Veränderung der Medienlandschaft in Deutschland anhand des »Spiegel« Auskunft gibt. Und dass gegenüber Gutmenschen-Kai von »Bild« inhaltlich kaum noch ein Unterschied, sondern eher neoliberaler Schulterschluss festzustellen ist.

Doch gemach. Zunächst ist festzustellen, dass Villenviertel-Jans Buch quasi eine Mogelpackung ist, was den Kern des Titels ausmacht. Denn die »Linke«, von der sich der Autor emanzipiert hat und die er auf das Korn nimmt, ist gar nicht »die Linke«, auch nicht ein Viertel der Linken, das Werk handelt nicht vom »sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionär« und auch nicht vom »ostdeutschen Altkommunisten«. Diese Linke, auf die eingedroschen wird, ist wie der Autor selbst schreibt, eine »begriffliche Fiktion«, also eine empirische Chimäre, ein Gespenst, ein Gefühl. Sie ist allen voran »ein Milieu, das mir seit meiner Kindheit vertraut ist«. Das Buch beginnt mit der Mutter des Autors und hört mit der Mutter des Autors auf, und wieder könnte man abschließend murmeln: Soso.

Wäre da nicht dieser eindeutige Hang zu einer Art meskalingetönten Wahrnehmung der Welt: »Die Linke hat gesiegt, auf ganzer Linie.« Eine derartige Zustandsbeschreibung nach sechzehn Jahren Kohl-Regierung und der Implosion des »real existierenden Sozialismus«, nach Schröder-Jahren und Merkel-Regentschaft hat die Kühnheit des Einsamen. Und der Autor schafft es auch, Sätze wie den folgenden zu formulieren, ohne sich dabei an die eigene Nase zu greifen: »In der Meinungswirtschaft, in der ich mein Geld verdiene, gibt es praktisch nur Linke.« Ja, es gibt sie zuhauf, die finsteren Horte linkestradikaler Gesinnung: »Handelsblatt«, »Managermagazin«,« Bild«, »Die Welt«, »FAZ«, das »ADAC-Magazin« und wie diese Revoluzzer-Blätter alle heißen mögen.

Auch diese Sünden könnte man mit Schweigen schlicht zudecken, bliebe nicht die weitschweifende Eifrigkeit, mit der uns der Autor die sattsam bekannten Versatzstücke neoliberaler Ideologie herunterbetet. Und auch hier ist wieder das einzig Rezensionswürdige die damit dokumentierte geistige Seelenverwandtschaft zwischen »Spiegel«(-Redakteur) und »Bild«(-Chefredakteur).

Dazu zwei Beispiele: Villenviertel-Jan kann sich aufregen über das 2006 in Kraft getretene »Gleichbehandlungsgesetz« – es untersagt (ähnlich wie in den USA) die Diskriminierung aufgrund Geschlecht, Rasse, Alter etc., im Grunde also eine Selbstverständlichkeit in aufgeklärten Gesellschaften. Doch der Autor polemisiert gegen dieses Gesetz unter der Rubrik »Die Erfindung des Opfers« – denn am »Anfang aller linken Politik steht das Opfer«, und das Gesetz sei ein weiterer Schritt bei dieser Opferproduktion. Auch Gutmenschen-Kai poltert gegen die Gleichbehandlung, die Folgen des Gesetzes seien »bizarr«. Missbrauch und horrende Kosten für die Unternehmen werden in bester »Bild«-Tradition als Schreckgespenst an die Wand gemalt – freilich alles längst in der Praxis widerlegt, aber wen schert’s.

Villenviertel-Jan regt sich natürlich auch über den Sozialstaat auf, quasi die Argumentations-Kür für jeden aufrechten Konservativen: »Der deutsche Wohlfahrtsstaat sorgt für verbilligte Opernbillets und Sprachreisen in die Levante«, sein Leitbild »ist der Bürger als Kostgänger«. Es wundert nicht, dass Gutmenschen-Kai mit seiner Erfahrung in Sozialdemagogie von »Florida-Rolf« bis »Mallorca-Karin« hier nicht außen vor bleibt: »Um es ganz deutlich zu sagen: Wo das soziale Netz zur Hängematte wird, bleibt Gemeinsinn auf der Strecke.«

Und auch an dieser Stelle könnte man sich nun fragen, warum unsere beiden Sozialzyniker die Verse der neoliberalen Gebetsmühlen aus 10 000 gefühlten Talkshow-Stunden mit Sabine Christiansen noch einmal in Buchstabenform von sich geben. Will man aber nicht. Es reicht, in Hinsicht auf eine Kritik der Massenmedien anhand dieser Veröffentlichungen zu konstatieren: Die geistige Welt des »Spiegel« ist von jener der »Bildzeitung« mitunter nur um Nuancen entfernt.

Jan Fleischhauer: Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde. Rowohlt Verlag, 351 S., brosch., 16,90 €

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