Wie weiter mit den Krisenprotesten?

Christina Kaindl über die Kasseler Aktionskonferenz und Erfordernisse breiteren Widerstands

  • Lesedauer: 5 Min.
Die Berlinerin Christina Kaindl ist Mitbegründerin des Bündnisses »Wir zahlen nicht für Eure Krise«.
Die Berlinerin Christina Kaindl ist Mitbegründerin des Bündnisses »Wir zahlen nicht für Eure Krise«.

ND: Ende Juni gab es in Kassel eine Aktionskonferenz, bei der diskutiert wurde, wie es nach den großen Auftaktdemonstration gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise im März nun mit den linken Krisenprotesten weitergehen soll. Was kam dabei heraus?
Kaindl: Die Konferenz hat sich für einen dezentralen bundesweiten Aktionstag am 17. September ausgesprochen. Darin sehe ich ein Signal, dass die beiden Antikrisendemonstrationen vom 28. März mehr als ein kurzes Aufflackern waren.

Waren nicht aber sowohl auf den Demonstrationen wie bei der Konferenz vor allem Linke und weniger die Betroffenen vertreten?
Vertreten waren Leute aus Sozialprotestbündnissen, Gewerkschaften, Betrieben, Migrantenverbänden, sozialen Bewegungen und der Linken. Es fragt sich, wer denn von der Krise nicht betroffen ist. Viel klarer ist, wer dafür wird zahlen müssen. Wenn die sich organisieren, umso besser.

Haben sich Ihre Erwartungen an die Konferenz erfüllt?
Es hat sich gezeigt, dass viele Organisatoren noch immer in erster Linie ihre eigenen Forderungen in den Mittelpunkt stellen. Die Bereitschaft für eine größere Zusammenarbeit über die verschiedenen Spektren hinweg, wie wir es in dem Positionspapier »Agenda 2009« formuliert hatten, ist noch nicht so ausgeprägt, wie es erforderlich wäre.

Das Papier versucht, Forderungen und Perspektiven unterschiedlicher Spektren aufzugreifen und einen Zusammenhang von kurzfristigen Abwehrforderungen und mittel- und langfristigen Perspektiven der gesellschaftlichen Veränderung, sozialen Infrastruktur, Ausweitung der Demokratie auf soziale, betriebliche und wirtschaftliche Fragen und der Transformation des Kapitalismus zu stellen.

Worin sehen Sie die Ursachen für die fehlende Bereitschaft zu größerer Zusammenarbeit?
Das liegt wesentlich daran, dass die Krise Erwerbslose auf eine andere Weise trifft als die Kernarbeiterschaft. Daraus entwickeln sich auch unterschiedliche Forderungen. Es wäre die Aufgabe einer linken Bewegung, hier Verbindungen herzustellen. Wir wissen aber, dass diese linke Bewegung nicht so gut aufgestellt ist, wie es in Zeiten der Krise notwendig wäre.

Haben also jene recht, die behaupten, die Krise sei keine günstige Zeit für Proteste von links?
Wir können uns das ja nicht aussuchen. Es ist immer notwendig, linke Alternativen stark zu machen. Die Krise kann den Horizont möglicherweise öffnen und Forderungen radikalisieren helfen. Aber sie kann auch zu Resignation führen.

Umso wichtiger ist es, dass linke Deutungen der Krise, Perspektiven auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen und antikapitalistische Deutungsmuster darin stark gemacht werden.

Im Sommer 2004 gingen von den Hartz-Reformen Betroffene ganz ohne politische Organisation auf die Straße. Warum nicht auch heute?
Ich halte es für einen Mythos, dass die Betroffenen damals ohne jede politische Organisation auf die Straße gegangen sind. Allerdings hatte ein Teil der politischen Linken damals die Einschätzung, dass sich Proteste gegen Hartz IV erst nach deren Einführung organisieren lassen. Sie bereiteten daher die »Aktion Agenturschluss« für Anfang Januar 2005 vor, bei der ARGEn im Bundesgebiet blockiert, teils auch besetzt wurden. Aber da waren ja schon alle darauf angewiesen, von diesen Institutionen ihr Geld zu bekommen.

Die Proteste im Sommer 2004 haben aber gezeigt, dass die Menschen schon vor der Einführung von Hartz IV auf die Straße gingen. Auf die Krisenproteste bezogen heißt es, eben nicht zu warten, bis die Krise voll auf die breite Masse der Bevölkerung durchschlägt, wie es teilweise gefordert wurde. Deshalb haben wir mit den Protesten auch schon im März begonnen.

Verbindet die breite Masse mit der Krise nicht eher die Abwrackprämie und sieht keinen Grund für Proteste?
Sicherlich ist die Abwrackprämie genau dazu da – neben der Stützung überholter Industriezweige und Kapitalfraktionen. Die Abwrackprämie ist für viele Menschen eine Schnäppchenjagd, viele nehmen dafür Kredite auf.

Das erinnert an die Kleinkredite in den USA, die den Menschen Beteiligung am Konsum ermöglichen sollten und dann zusammengeklappt sind.

Braucht es erst eine schwarz-gelbe Regierung, bevor die Proteste sich ausweiten?
Es gibt in Teilen der sozialen Bewegungen tatsächlich diese Einschätzung. Doch davor würde ich warnen. Eine schwarz-gelbe Regierung kann auch als Bestätigung der alten neoliberalen Politik gesehen werden und Resignation auslösen. Das könnte vor allem dann passieren, wenn funktionierende Protestrukturen fehlen.

Deshalb war es uns auch wichtig, uns mit dem Aktionstag am 17. September vor den Wahlen als soziale Bewegung zu Wort zu melden.

Wie geht es mit den Vorbereitungen zu diesem Aktionstag jetzt konkret weiter?
Der erste Schritt wäre die Gründung von lokalen Bündnissen, die den Aktionstag vorbereiten. Dabei sollen möglichst viele Gruppen einbezogen werden. Am Aktionstag sollen dann verschiedene Gruppen zusammenfinden, die sonst getrennt aktiv sind. Wenn die unterschiedlichen Forderungen auch noch nicht zu gemeinsamen Entwürfen für eine veränderte Gesellschaft zusammenfinden können, wollen wir sie doch gemeinsam hörbar machen und damit auch auf die verschiedenen Dimensionen der Krise aufmerksam machen.

Wie soll das erreicht werden?
In den Städten kann an unterschiedliche Kämpfe angeknüpft werden und dafür passende Orte für Aktionen ausgewählt werden: Das können Betriebe ebenso sein wie Jobcenter und andere Institutionen, an denen deutlich gemacht werden kann, wer für diese Krise verantwortlich ist.

Aktionen vor Abschiebebehörden können darauf aufmerksam machen, dass die MigrantInnen mit als erste von der Krise getroffen werden. Der Aktionstag soll auch Anlass für die Gründung neuer Bündnisse sein, damit wir Strukturen aufbauen können, die wir dringend brauchen für die Kämpfe, die uns spätestens nach der Bundestagswahl bevorstehen.

Fragen: Peter Nowak

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal