Wenn Löhne und Preise purzeln

  • Dierk Hirschel
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Autor ist Chefökonom des DGB.
Der Autor ist Chefökonom des DGB.

Erste Wirtschaftsexperten sehen wieder Licht am Ende des Tunnels. Langsam füllen sich die Auftragsbücher. Die Produktion zieht wieder an. Der Wirtschaftsminister spekuliert bereits über das Ende der Rezession.

Doch die neue Zuversicht könnte trügerisch sein. Das Ende des freien Falls ist noch nicht das Ende der Krise. Nach einem historischen Absturz befindet sich die Konjunktur an einer Wegkreuzung. In den nächsten Monaten entscheidet sich, ob der Wachstumsmotor wieder Fahrt aufnimmt oder die nächsten Jahre stillsteht. Entscheidend hierfür ist die künftige Entwicklung der Löhne und Preise.

Wenn Löhne und Preise dauerhaft purzeln, dann droht uns der wirtschaftliche Stillstand. Eine Deflation ist tödliches Gift für jede Volkswirtschaft. Tieffliegende Preise lassen die Verbraucher ihre Käufe aufschieben. Schließlich wird bald alles billiger. Folglich sinkt der private Verbrauch. Gleichzeitig wächst der reale Wert der Schulden und Zinsen. Mehr und mehr Schuldnern droht die Zahlungsunfähigkeit. Am Ende sinken Gewinne, Investitionen und Konsum. Die Wirtschaft kommt nicht mehr vom Fleck.

Die Deflationsgefahren sind real. Der Druck auf die Löhne wird weiter steigen. Noch ist die Krise nicht mit voller Wucht auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Jeder Arbeitslose macht es für die Gewerkschaften schwieriger, sich lohnpolitisch durchzusetzen. Belegschaften, die mit dem Rücken zur Wand stehen, sind leicht erpressbar. Zahlreiche unsichere Jobs und die Aussicht auf den Hartz IV-Armutskeller erhöhen den Druck.

Viele Betriebe versuchen nun, durch Lohnsenkungen der Kostenfalle zu entkommen. Diese vermeintlich betriebswirtschaftlich saubere Lösung kann jedoch direkt in die volkswirtschaftliche Katastrophe führen. Wenn das, was dem einzelnen Betrieb kurzfristig Luft verschafft, von der Konkurrenz nachgeahmt wird, dann hat zukünftig keiner mehr Luft zum atmen. Der Lohnverzicht von heute sind die leeren Auftragsbücher von morgen und die Entlassungen von übermorgen.

Was also ist zu tun? Wer hofft, dass die Betriebe in der Krise gesamtwirtschaftlich vernünftig handeln, der baut auf Sand. Und auch die Widerstandskraft der Gewerkschaften hat in diesem schwierigen Umfeld ihre Grenzen.

Jetzt ist die Politik am Zug. Sie muss die Gefahren einer Deflation auf die politische Tagesordnung setzten. Die Lage ist noch nicht dramatisch, aber ernst. Nach aktuellen Prognosen sinken dieses Jahr die Löhne und Erzeugerpreise. Die Politik muss jetzt einen Damm gegen die drohende Deflation bauen.

Hierfür brauchen wir Mindestlöhne, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und eine staatliche Förderung regulärer sozial versicherter Arbeit. Transferleistungen und die Gehälter im öffentlichen Dienst müssen in der Krise stabil gehalten werden. Der Schutz der Arbeitslosenversicherung muss gerade in der Krise verbessert werden.

Politisch verantwortungslos ist es, jetzt schon über einen Ausstieg aus den staatlichen Hilfsprogrammen zu philosophieren. Vielmehr muss weiterhin geld- und konjunkturpolitisch alles getan werden, um die Nachfragelücke zu schließen und eine Kreditklemme zu verhindern. Dann, aber auch nur dann, gibt es eine Chance, dass wir bald ein Licht am Ende des Tunnels sehen werden.

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