Sieg des Kinos über die Geschichte

Inglourious Basterds von Quentin Tarantino

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Quentin Tarantino hat einen historischen Märchenfilm gedreht, und dank Christoph Waltz ist ein Kunstwerk draus geworden. »Inglourious Basterds« ist filmisches Gedankenspiel über Holocaust und Widerstand, jüdische Rachefantasie und explosiver Gegenentwurf zur realen Geschichtsschreibung, die das Ende von Drittem Reich und Zweitem Weltkrieg für den Mai 1945 verzeichnet – bei Tarantino findet der Spuk schon 1944 ein Ende. Dass dieser fiktive Befreiungsschlag nicht unblutig abgeht, sondern als kaltblütig inszeniertes, Holocaust-zitierendes Glutofeninferno in spektakulären Bildern Hunderte von Toten fordert, fällt wohl unter die moralische Kategorie Tyrannenmord und lässt sich – zumal als Genrefilm-inspirierter Leinwandwunschtraum – zumindest ansatzweise rechtfertigen.

Natürlich sind es nicht oder jedenfalls nicht federführend die Deutschen, die das Ende der Tyrannei herbeiführen. Gleich zwei sich überkreuzende Attentatspläne auf Hitler, Goebbels, Göring und einen ganzen Kinosaal voll NS-Bonzen und Wehrmachtsoffiziere im deutsch besetzten Paris verfolgt der Film: einen in französischer Privatinitiative organisierten, der die kinoeigenen Ressourcen nutzt und sich die Brennbarkeit von Nitrofilm zunutze macht, und einen international vernetzten, von britischen und amerikanischen Armeekreisen geplanten. In beiden Fällen spielen Deutsche eine Rolle, unwissentlich und ganz entgegen ihren Absichten im ersten, als todesmutige Überläufer höchst bewusst im zweiten. Aber es sind die Eigeninteressen einer jungen Französin (Mélanie Laurent) auf Rachefeldzug für die Erschießung ihrer jüdischen Familie und eines prominenten, aber durchaus opportunistischen SS-Offiziers, der für die Zeit nach Kriegsende vorsorgt, die ihr Gelingen sichern.

Überhaupt sind die Nazis nie schlicht und einfach nur dumm bei Tarantino. Sie sprechen Sprachen, haben Ambitionen und gelegentlich auch Skrupel, besitzen Soldatenehre und ein Ohr für unerwartete Akzente. Holocaust und Nazi-Gräuel sind die Folie, vor der sich Tarantinos Filmmorde abspielen, aber sie werden nicht vorexerziert, sondern vorausgesetzt. Nur einmal, gleich zu Beginn, führt SS-Oberst Hans Landa, genannt der »Judenjäger«, nachhaltig vor, wie emotionslos ein nationalsozialistischer Uniformträger Leben vernichtet, wenn das politisch erwünscht ist. Hans Landa ist die Rolle, für die Christoph Waltz in Cannes der Darstellerpreis verliehen wurde. Nicht Brad Pitt als US-Leutnant Aldo »der Apache« Raine in backenschwerem Marlon Brando-Modus (dem die deutsche Synchronfassung einiges an Wirkungskraft nimmt) ist der Hauptdarsteller des hochkarätig besetzten Films, sondern Waltz. Auch ihn bringt die deutsche Fassung um eine seiner Sprachen, aber da waren’s immerhin noch drei. Waltz spricht Englisch, Französisch, Italienisch – und Deutsch mit einem Hauch Österreich darin –, also ist auch sein Mephisto Landa nicht nur oberflächlich charmant und weltgewandt, sondern polyglott und gebildet, dabei völlig skrupellos nur dem eigenen Aufstieg und Wohl verpflichtet – und ein klein wenig stolz auf die eigene Spürnase, möge sie in noch so verwerflichen Diensten stehen.

»Inglourious Basterds« ist ein Hybrid wie sein absichtsvoll verballhornter Titel (richtig geschrieben läse der sich wie der englische Verleihtitel eines italienischen Kriegsfilms aus den Siebzigern, »The Inglorious Bastards« von Enzo G. Castellari), zugleich B-Film-Hommage und ernstzunehmender Politfilm. Er beginnt (in der französischen Provinz!) als Spaghetti-Western, bereichert das Genre Spionagefilm um eine grandiose Kellerkneipenszene samt finalem Schusswechsel und übertrifft als Kriegsfilm mit seinen Baseball-schwingenden, Nazi-Skalps sammelnden jüdischen G.I.s selbst Haudrauforgien wie Robert Aldrichs »Das dreckige Dutzend« (1967) an blutrünstigem Aktionismus. Jeder Figurenname birgt mindestens eine filmhistorische Liebeserklärung, jeden Song hat man zuerst in einem anderen filmischen Kontext gehört.

Gedreht wurde im Studio Babelsberg und an Schauplätzen in und um Berlin. Den Strudel mit Sahne nehmen Goebbels und Entourage im Café Einstein, die Kellerkneipenfassade entstand im havelländischen Nauen, ein Propagandafilm-im-Film in Görlitz, die scheinbare Provinz-Pastorale des Beginns wurde bei Bad Schandau gedreht, und das Kino »Le Gamaar« steht in der Sonnenallee. Oder jedenfalls ihrer Babelsberger Variante, einem Dauerbrenner unter den Außenkulissenbauten.

Dass der Deutsche Filmförderfonds die US-Produktion mit 6,8 Millionen Euro unterstützte, rief den Bund der Steuerzahler auf den Plan. Zu Unrecht: selbst wenn die Förderung nicht ohnehin zu Drittinvestitionen in zweistelliger Millionenhöhe führte, ein besseres Aushängeschild für die einheimische Schauspielzunft ließe sich kaum denken. Groth, Brühl, Diehl, Wuttke schlagen sich mehr als wacker, etliche in eindrucksvoll authentischem Französisch.

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