»Die Narben sind noch nicht verheilt«

20 Jahre nach Namibias Unabhängigkeit ist der Prozess der Versöhnung noch im Gange

  • Lesedauer: 4 Min.
In der kritischen Übergangszeit Namibias zur Unabhängigkeit 1989/90 war Professor Gerhard Tötemeyer Dekan an der Universität von Namibia. Nach der Unabhängigkeit wurde er Direktor für Wahlen, später stellvertretender Minister. Mit ihm sprach Hans-Georg Schleicher.

ND: 1989 war auch das Jahr Namibias, der Beginn des Unabhängigkeitsprozesses und freier Wahlen. Damals sahen Sie optimistisch in die Zukunft. Inwieweit haben sich Ihre Erwartungen erfüllt, welche Bilanz ziehen Sie nach 20 Jahren?
Tötemeyer: Die Erwartungen waren sehr hoch, vor allem hinsichtlich der Demokratie. Die Verfassung wurde schnell erstellt und entsprach weitgehend den Erwartungen aller Menschen, Schwarzen und Weißen. Befürchtungen vor allem in der weißen Bevölkerung waren unbegründet. Alle konnten am Aufbau des Landes teilnehmen. Natürlich wurde nicht alles erreicht, die wirtschaftliche Entwicklung muss weiter vorangetrieben werden, auch das Kapitel der Versöhnung ist nicht abgeschlossen. Aber Demokratie ist immer ausbaufähig, auch in Namibia.

In wenigen Monaten gibt es wieder Wahlen, zum fünften Mal seit 1989. Wie frei und fair sind Wahlen heute in Namibia?
Die Wahlen sind frei. Die Berichte internationaler Wahlbeobachter waren stets positiv. Wir mussten allerdings erst eine Wahlkultur entwickeln, da die schwarze Bevölkerung früher nicht an Wahlen teilnehmen durfte. Das war ein sehr wichtiger Prozess, wir erreichten eine Wahlbeteiligung bis zu 80 Prozent. Diesmal sind 30 Prozent der Wahlberechtigten Neuwähler, die erst nach der Unabhängigkeit geboren wurden, die »born free children«.

Die ehemalige Befreiungsbewegung SWAPO verfügt im Parlament über eine Drei-Viertel-Mehrheit. Wie kam es dazu? Ist Namibia auf dem Weg zum Einparteienstaat?
Die Unterstützung für die SWAPO ist sehr groß, sie erhielt zuletzt über 75 Prozent. Eine schwache Opposition ist nicht gut für eine Demokratie, es fehlt die Herausforderung für die Regierungspartei. SWAPO ist allerdings die einzige Partei mit Unterstützung in allen Bevölkerungsgruppen. Das ist bei den Oppositionsparteien nicht der Fall. Die Verfassung sieht ein Mehrparteiensystem vor. Nun kann man der SWAPO nicht die Entscheidung der Wähler anlasten. Sie ist besonders stark im Norden, wo sie einst entstanden ist. Die dortige ethnische Gruppe der Ovambos stellt etwa die Hälfte der Bevölkerung. Das Mehrparteiensystem ist verfassungsmäßig garantiert, trotz der derzeitigen Dominanz einer Partei.

2005 wurde Hifikepunye Pohamba Präsident Namibias, nach drei Amtszeiten des Gründungspräsidenten Sam Nujoma. Beobachter sprechen von einem neuen Politikstil. Was hat sich verändert?
Pohamba ist eine ganz andere Persönlichkeit als Sam Nujoma, obwohl beide aus der Bevölkerungsgruppe der Ovambos stammen. Pohamba ist ein gemäßigter, stark versöhnungsorientierter Politiker, dem die politische Härte eines Nujoma fehlt. Pohamba spricht alle Probleme an, zum Beispiel auch die Korruption, aber es fehlt manchmal an der Durchsetzungsfähigkeit. Nujoma hingegen hatte einen vertikalen Führungsstil – im Unterschied zum horizontalen Führungsstil Pohambas. Bei Nujoma rührte das aus dem Exil her, wo es eine große namibische Diaspora gab und kaum andere Möglichkeiten, die SWAPO zusammen- zuhalten. Diese Vergangenheit ist noch nicht ganz überwunden. Der horizontale Stil Pohambas ist stärker am herkömmlichen Demokratiebegriff orientiert. Der derzeitige Präsident versucht das Volk zu erreichen. Er ist offen für Ratschläge aus Wirtschaftskreisen, von den Gewerkschaften und den Kirchen, die für Namibia sehr wichtig sind.

Zweimal gab es in 20 Jahren Veränderungen in der Parteienlandschaft Namibias. 1999 haben der Kongress der Demokraten (COD) und 2007 die Bewegung für Demokratie und Fortschritt (RDP) als neue Parteien die SWAPO herausgefordert. Welche Chancen haben diese Parteien?
Beide sind von Abweichlern der SWAPO gegründet worden, das ist eine Schwäche. Man hatte bei der RDP erwartet, dass eventuell die neue Wirtschaftselite, der neue schwarze Mittelstand diese Partei unterstützen wird, sie blieben jedoch weitgehend apolitisch. Neu ist, dass die jüngste Parteigründung auch eine Spaltung innerhalb der Ovambos bewirkte. Der Führer der RDP Hidipo Hamutenya kommt von den Kwanyamas, der gleichen Ovambogruppe, aus der Pohamba stammt. Damit wird erstmals die homogene Unterstützung der SWAPO bei den Ovambos auf den Prüfstand gestellt.

Sie haben sich intensiv mit der Aussöhnung in Namibia befasst. Wo steht man dort gegenwärtig, auch im Vergleich zu Südafrika?
Südafrika hatte eine Versöhnungskommission, die gab es in Namibia nie. Versöhnung ist ein fortlaufender Prozess, es geht um Versöhnung nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch in den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Es gab ja die Unterdrückung durch das südafrikanische Regime, aber es gab auch Ausein-andersetzungen im Exil. Mein Eindruck ist, die Narben sind noch nicht verheilt. Hier sollten sich vor allem die Kirchen einsetzen als Partner der Regierung, um einen Weg zu suchen, damit man sich ausspricht. Der südafrikanische Bischof Tutu meint, die schwierigsten Worte, die es dazu gibt, seien: Es tut mir leid. Aber nur so wird man denen gerecht, die im Lande leiden mussten und auch jenen, die im Exil litten. Man muss Dinge offen ansprechen, man kann sie nicht einfach durch eine Generalamnestie vom Tisch fegen. Da sind besonders die Kirchen gefragt, die bereits während des Unabhängigkeitskampfes eine wichtige Rolle spielten.

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