»Oh Wort, das mir fehlt«
Schönbergs »Moses und Aron« eröffnete die RuhrTriennale 2009
Gerard Mortier hat die RuhrTriennale 2002 erfunden. Das Wagnis, mit einem programmatischen Dreijahresblick, immer von Ende August bis Ende Oktober, die ausgediente Industriearchitektur des Ruhrgebietes mit außergewöhnlichen Opern-, Theater- und Kunstprojekten für die Gegenwart zu beleben und so für die Zukunft zu erschließen, wurde längst zu einem etablierten regionalen Festival mit überregionaler Ausstrahlung. Auf Mortiers Nachfolger Jürgen Flimm ist jetzt der Opernregisseur Willy Decker als Triennale-Intendant gefolgt. Der will unter der Überschrift »Urmomente« aufs grundsätzlich Religiöse hinaus. Er wird im christlichen Ruhrgebiet erst die jüdische, dann die islamische und schließlich die buddhistische Religion und Kultur zum Zentrum seiner Programmauswahl machen.
Da lag der Auftakt mit »Moses und Aron« fast schon auf der Hand. Arnold Schönbergs solitäres Werk ist nicht nur ein ziemlich vertracktes Stück Diskursoper über die religiöse Grundsatzfrage, ob sich der gläubige Mensch ein Bild von seinem Gott machen oder nur das Greifbare, Reale anbeten soll. Es ist als Zwölfton-Fragment des Tonrevolutionärs per se ein Schlüsselwerk der Moderne. Mit Subtexten, die über einen innerreligiösen oder -philosophischen Diskurs hinausgehen.
Man könnte Moses auch als einen Anführer sehen, dem sein Gottesbegriff und dessen Verbreitung noch vor der Befreiung seines Volkes zu einem Lebensinhalt werden, der sich aus fundamentalistischer Unbedingtheit speist. Auch ästhetisch ist dieser Moses bei Schönberg eine Grenzpersönlichkeit, ist ihm als Titelfigur doch sogar der Gesang versagt. Und am Ende verweigert sich ihm auch noch das Wort: »O Wort, du Wort, das mir fehlt.« Diesen Ausruf der Verzweiflung schickt der überzeugende Dale Duesing am Ende seinem gen Milch und Honig ins gelobte Land losziehendem Volk hinterdrein.
In seinem Bruder Aron (intensiv: Andreas Conrad) hingegen scheint das Bild eines Managers des Machbaren, also eines Politikers auf, der zwar der Idee seines Bruders folgt, aber genauso gut dem Volk einfach gibt, wonach es verlangt. Und sei es jener Mammon, oder eben jenes Goldene Kalb, das es zum Sinnbild der niedersten materiellen Instinkte gebracht hat.
Nun mag man in Willy Deckers Eröffnungsinszenierung zur RuhrTriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle gerade in der drastischen, perfekt durchchoreografierten szenischen Bebilderung dieses Tanzes ums Goldene Kalb, in den das Volk während Moses' Selbstfindungsabwesenheit verfällt, als einen drastischen Verweis auf die Gefahren einer sinnentleerten Welt von heute verstehen. Auch der unauffällig im Publikum platzierte Chor, vor allem aber die Postierung der Zuschauer auf zwei anfangs ohne Zwischenraum gegeneinandergesetzten Tribünen sind ein Verweis auf uns selbst. Theatralisch ist es auch faszinierend, wenn die Tribünen plötzlich auseinanderfahren und eine Spielfläche freigeben. Oder wenn sich von oben eine Art viereckiger Glaskasten herabsenkt, in dem sich die Menschen wie beim Hofgang im Gefängnis bewegen. Oder sie alle durch die sich öffnende Seite ins einfallende Licht fliehen, das vom gelobten Land bis in die ägyptische Wüste zu strahlen scheint.
Was Decker und sein Bühnenbildner Wolfgang Gussmann szenisch an Überzeugungskraft des Theaterereignisses aufbieten, bleibt aber durch eine gewisse Unverbindlichkeit beim Loten ins außerreligiös Exemplarische des Stoffes und seiner Konfliktkonstellation dennoch auch unvollendet. Aus diesem Widerspruch zwischen einer ausführlichen Debatte über die Darstellbarkeit und deren Darstellung auf der Bühne hat sich bislang nur Jossi Wieler dialektisch gerettet. In seiner Stuttgarter Inszenierung sieht man jenen Tanz ums Goldene Kalb nur als ein Abbild auf den Gesichtern der Menschen, und ist damit ebenso wie diese auf sich selbst verwiesen.
Und doch ist man in Bochum am Ende von der Originalität eines Theaters am besonderen Ort fasziniert. Was nicht zuletzt an Michael Boder und den Bochumer Symphonikern, dem hervorragenden Chor (Chor Werk Ruhr) und den Protagonisten liegt, in denen sich jene geistreiche Opulenz der Klarheit wiederfand, mit der Willy Decker seiner RuhrTriennale alles in allem einen einhellig bejubelten Auftakt bescherte.
Nächste Vorstellungen: heute, am 28., 30. August und 2. September
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