Gipfel – der Macht

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 2 Min.

Massig erhebt sich das Körpergebirge des »Dicken«, dem wir über die Schulter schauen vor einem dramatischen Wolkenband in San Francisco. Die nicht retuschierte Einsamkeit, die unvermeidlich den Gipfel der Macht umweht, ist das kleinste gemeinsame Vielfache, das die Kanzlerporträts von Konrad Rufus Müller verbindet. Gerhard Schröder kultiviert 1997 die Offenheit, erheischt Zwiesprache mit seinem Betrachter. Vier Jahre später – staatstragend, aufgenommen aus der Untersicht – haben sich die Spuren der Macht unübersehbar in die Physiognomie eingraviert. Unnahbar gibt sich Helmut Schmidt, der Fotografen als »nahe Verwandte des Menschen« denunzierte. Beim Shooting mit der aktuellen Amtsinhaberin kam es vor wenigen Monaten beinahe zu einem Eklat, da Merkel partout nicht auf Müllers Arbeiten ohne Blitz eingehen wollte. Das Resultat der »Teflonkanzlerin« wirkt gegenüber jenen ihrer Amtsvorgänger entsprechend getuned. Digitalaufnahmen lehnt Müller rigoros ab, schwört hingegen auf seine Rolleiflex-Kamera von 1975. Die langsame abwägende Entstehen seiner Aufnahmen vermittelt sich dem Betrachter umgehend – und ist Lichtjahre entfernt von dem Trend zum Passbild, wie er seit den 1970er Jahren die Politikerfotografie dominiert.

»Uns sind diese Gesichter sehr vertraut. Und wir glauben, sie wirklich alle zu kennen«, gibt der 1940 in Berlin geborene Müller zu bedenken. »Ich versuche mittels meiner Fotografien, diese Menschen neu zu entdecken.« Müllers Stil: Eigenwillig, fast immer schwarz-weiß, stets ohne Kunstlicht, jede Fotografie ein Unikat. Kein Stab von Assistenten und Fotolaboranten begleitet den Fotografen. Die Papierabzüge entstehen in seiner kleinen Dunkelkammer. Schwerpunkt einer derzeit in Berlin gezeigten Ausstellung mit 60 Porträts sind die von Konrad Adenauer.

Konrad Rufus Müller – Die Kanzler von Adenauer bis Merkel. Bis 4. 10., 11-20 Uhr in der C/O Berlin im Postfuhramt, Auguststr. 5, Berlin

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