Poesie der Blicke

Andreas Altmann: »Fischreiher-Gedichte«

  • André Schinkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die beharrlichen Arbeiter am Wort haben es nicht einfach. Zu sehr ist oft das Schrille eine Art späte »Blendungsgnade« für den im Niedergang begriffenen Kritikerstand. Ein gutes Gebrüll macht noch keinen Dichter, aber es fällt immerhin auf. Mit der Arbeit des Lyrikers hat es allerdings wenig zu tun. Im Fall von Andreas Altmann – Vertreter der sächsischen Diaspora in Berlin und einer der ernsthaftesten Wort-Arbeiter seiner Generation – wird die eindrucksvolle, stille Mechanik seiner Gedichte gelobt, aber man reibt sich nicht gern an der kräftigen Klarheit, mit der er spricht.

Das mag auch daran liegen, dass der heuer so eitle wie seine Verlorenheit geflissentlich leugnende »Lyrik-Betrieb« eben jene Klarheit nicht sonderlich schätzt. In seinen neuen Gedichten, unter dem Titel »Gemälde mit Fischreiher« liebevoll in der Chemnitzer Sonnenberg-Presse verlegt, kann man Altmann bescheinigen, seinem Konzepte treu zu bleiben. Indes ist eine Intensivierung, Vertiefung der Altmannschen Töne zu konstatieren, was ihn in gestische Nähe zu den verwandten Kreisgängern setzt: Thomas Böhme, Tom Pohlmann, auch Hilbig und Rosenlöcher – die Verinnerlichung, Verspiegelung des Augenmotivs.

Die Einebnung der Sprache in die Natur – auch dies impliziert der Titel des neuen, schmalen Gedichtbands. Und, dem geübten Leser längst vertraut, umgekehrt die Enthebung der Natur in die sphärische Schwebe der Kunst, ohne sich, wie neuerdings oft, eine Verhebung einzuhandeln. Zunehmend philosophisch unterlagert kommen Altmanns Texte daher, dabei in fortwährender Bereitschaft, ins schützende Dickicht der Beobachtung zurückzukehren. Das Eröffnungsgedicht gibt dabei frappierend die Sicht auf das seltsamste aller Dinge, das Selbst, preis:

SCHON AUF DEM WEG in den spiegel können augen nur ihre vergangenheit sehen./ worte, die sich immer nur erinnern,/ stehen sich gegenüber. und sprechen sich nach./ die dinge zeigen sich im gesicht, das sich/ von moment zu moment abzeichnet./ es trägt einen namen, der sich im klang/ der stimme verändert. ein blühen,/ ein schweben, ein welken, sich fügen, das dich/ von ihm trennt. und dir den mund schließt./ auch blicke verlieren ihr gewicht. und/ den boden unter ihrem licht. das heller/ wird, dunkler und nur so scheint.

Altmann, der ganz offenbar ein »Dichter der Blicke« ist, sinnt der Tatsache nach, dass die Erkenntnis dem Gegenwärtigen stets für den Bruchteil einer Sekunde nachhinkt, weshalb jedes Wissen zwangsläufig Vergangenheit ist. Jeder Blick, alles Reden verlischt letztlich im Hinblick auf ein Ende, das ein Schweigen, ein Sich-Fügen sein wird. Und selbst das ist unsicher – wie das Licht, das den Dingen und Orten Kontur gibt und das, so steht zu befürchten, schließlich fortbleibt.

Für die Ausdeutung der Umstände genügt Altmann oft ein einziges Wort, eine treffende Wendung. Das Harren der Gegenstände: Insbesondere im Titelgedicht bekommt es in seiner nur scheinbaren Nichtigkeit einen seltsam drohenden Gestus. Der Reiher auf seiner Totholzinsel bleibt eigentümlich leblos, sinkt gegen Ende des Textes wie ein Stein; während der unfassliche Sommer Spuren auslegt. Die Natur als das Verlässliche, das zugleich das Unwägbare trägt.

Der beredte Minimalismus der Texte wird bekräftigt durch die vier mehrfarbigen Holzschnitte Bettina Hallers, die sich mit Ästen und Scherben, Dornen und Nestern in symbolischer Sichtweite halten. Der Spiegel als das Selbstgemälde, ob in einem tatsächlichen Abbild oder, imaginiert, das Sich-Wiedererkennen in den Dingen und die Verbundenheit mit ihnen – Triebfedern des Büchleins ist die Vision, das Reden des Dichters möge kein Selbstgespräch sein.

DIE STÜRME KOMMEN aus dem norden./ wenn ich die augen schließe, sind sie weiß / und haben kein gesicht. ein mann steht an / den wellen, die noch vor ihm weichen,/ wolken tragen ihre berge ab. er hat sein haar /verloren./ ich bin in seinem rücken meinen augen /nah. der wind reißt eine feder aus dem sand. / die möwe hängt am himmel, über seiner haut.

Altmanns Metier ist die Natur und das, was sich die Natur von den menschengemachten Dingen zurückgeholt hat; die Orte, an denen eine trügerische Ruhe eingekehrt ist. Da schwingen Zweifel mit, Suche nach Sinn, ein Gefühl von Verlorenheit und die Hoffnung auf ein wirkliches Gegenüber.

Dem eiligen Leser bleibt der Genuss eines gedimmten Naturalismus, während der Aufmerksame die inneren Bezüge triftig erkennt. Sei es, dass der Blick ins Gegebene oder doch das Darunterliegende gemeint ist – der Dichter Altmann lässt uns in seinem neuen Gedichtband, der uns auch von der Liebe zu den Bäumen, Elstern und Fischreihern berichtet, bei dieser Erkundung dabeisein.

Andreas Altmann: Gemälde mit Fischreiher. Gedichte, mit Holzschnitten von Bettina Haller. Sonnenberg-Presse brosch., 15 €.

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