Der steile Weg zur Autonomie

Auf dem besetzten Landgut Kan Pasqual in Barcelona baut ein buntes Kollektiv Schritt für Schritt das selbstbestimmte Leben aus

Kan Pasqual gehört zu den ältesten Besetzungen in Barcelona. Seit Ende 1996 versuchen sich die Bewohner in selbstbestimmtem Wohnen, Arbeiten und Leben. Mit beachtlichem Erfolg und krisenresistent.
Die Pferdepflege für Nachbarn stellt eine der wenigen monetären Einkommensquellen dar.
Die Pferdepflege für Nachbarn stellt eine der wenigen monetären Einkommensquellen dar.

Der Weg zur Autonomie ist steil und lang. In Barcelona führt er über ein paar Kilometer Serpentinenstraßen zu einem Gehöft namens Kan Pasqual. Das Landgut gehört formal einerseits der Stadt Barcelona und real andererseits zu den ältesten Hausbesetzungen innerhalb der Kommune. Bereits seit Ende 1996 unternimmt man dort inmitten eines Waldgebiets der Hügelkette Collserola den Versuch, der Autonomie näher zu kommen.

Die Autonomie in zentralen Bereichen des Lebens auszuweiten, in Sachen Ernährung, Gesundheit und Energie, ist der Leitgedanke, erzählt Quim*, ein Katalane der seit über zehn Jahren zu den Besetzern zählt. Legalisierungen von Besetzungen, wie es sie in Berlin in den 80ern und 90ern teilweise gegeben hat, gibt es in Barcelona grundsätzlich nicht. Die Besetzung von Kan Pasqual wird stillschweigend geduldet, rottete das Gebäude doch jahrelang vor sich hin, nachdem seine Nutzung als Landschulheim eingestellt wurde.

Schritt für Schritt mehr Autonomie

Mit der Polizei machten die Besetzer und Besetzerinnen in Kan Pasqual erst ein Mal Bekanntschaft: Drogenrazzia. Allerdings mit einem lächerlichen Ergebnis, erinnert sich Quim: »Fünf kleine Marihuana-Pflanzen wurden beschlagnahmt. Der Polizei war das so peinlich, dass sie selbst den Mantel des Schweigens über die personal- und fahrzeugintensive Aktion hüllte – so viel Aufwand für so wenig Ertrag ließ sich schlecht als Erfolg verkaufen.«

Seitdem kann in Kan Pasqual weitgehend unbehelligt von staatlicher Repression Schritt für Schritt am Ausbau der Autonomie gearbeitet werden. Ohne Illusionen: Vollständige Autonomie ist unrealistisch, meint Quim. Zumindest wenn man auf ein paar Errungenschaften der Moderne nicht verzichten will. Benzin für den Notstrom-Generator oder das Kollektivauto, Milch und Kaffee für den Café con leche (Milchkaffee), der in Katalonien wie ganz Spanien zu den Grundnahrungsmitteln gehört. Auch an das Telefonnetz ist das Gehöft inzwischen angeschlossen, so dass auch über einen Internet-Zugang verfügt wird. Ein Anschluss ans Stromnetz wird dagegen kategorisch ausgeschlossen – zum Atomstrom will man keine Verbindung haben.

Die Autonomie in der Energieversorgung wurde Zug um Zug erweitert. Solarpaneelen und ein kleines Windrad auf dem Dach bringen Energie – anfangs reichte das nur für den Gemeinschaftsraum und die Küche, nach und nach wurden auch die Privaträume von Kerzenlicht auf Energiesparlampen umgestellt. Auch die externe Dusche, die mit idyllischem Blick ins Tal in einem kleinen überdachten Gemäuer angebracht ist, gewinnt ihr Warmwasser über auf dem Dach installierte Solarpaneelen. Der Praxistest im Sommer zeigt, dass das Heißwasser sprudelt, aber auch im Winter würde es funktionieren, erzählt Quim. Das Duschwasser wird wieder verwendet, zum Beispiel für die Bewässerung in den Gärten, nachdem es zuvor durch ein ausgeklügeltes Pflanzenreinigungssystem gereinigt worden ist.

Das Denken in Kreisläufen wird groß geschrieben. »Wir orientieren uns am Ansatz der Permakultur«, beschreibt Quim das Konzept. Organische Abfälle werden kompostiert und zu verringern versucht. So weit es geht, werden sie wieder dem Stoffkreislauf zugeführt. So wie aus Duschwasser Bewässerungswasser wird, wird aus Kompost Dünger. Ein paar externe Bekannte experimentieren gerade mit einer Biogasanlage auf dem Gelände. Das Wissen um umweltfreundliche Techniken haben sich die Bewohner und Bewohnerinnen entweder über Bücher angeeignet oder haben es mitgebracht. Agronomen und Umweltwissenschaftler gehörten schon zu den ursprünglichen Besetzern. Einige von ihnen sind immer noch dabei. Überhaupt halte sich die Fluktuation im Vergleich zu vielen städtischen Besetzungen in Grenzen. Der Kern des guten Dutzend Erwachsenen sind Katalanen, einige Besetzer kommen aus anderen spanischen Regionen, Lateinamerikaner und als Exot ein Englischlehrer aus Irland komplettieren das Kollektiv. Und nicht zu vergessen eine Handvoll Kinder, wobei das Altersspektrum von rund 18 Monaten bis zu ein paar Teens reicht.

Selbstgemachte Pasta und Gemüse der Saison

Ein gutes Dutzend Menschen will erst mal ernährt werden. Selbstversorgung sei auch hier noch nicht erreicht, aber man befinde sich auf dem Weg, schildert der Mittdreißiger Quim. Beim Mittagessen am Tag der journalistischen Stippvisite wird das Ziel fast erreicht: Aufgetischt wird leckere, mit der Nudelmaschine selbstgemachte Pasta und ein gemischter Salat der Saison. Dazu Wasser aus dem eigenen Brunnen und selbst gebackenes Brot. Nur der Café con leche nach der Mahlzeit ist Importware. Vegetarier aus Prinzip ist nur eine kleine Minderheit im Haus. Fleisch und Eier gibt es dennoch so gut wie nie – Fisch zuweilen. Dass es keine Eier mehr gibt, ist das Werk eines Fuchses. Er hat sämtlichen frei laufenden Hühnern den Garaus gemacht.

Damit der zweite Versuch der Hühnerhaltung Erfolg versprechender ausfällt, baut Jordi gerade einen Hühnerstall, der dem Fuchs das Wildern verleiden soll. Beim Arbeiten hört Jordi Reggaeton und Reggae – die Stimmung ist entspannt. Der Antrieb zur Arbeit ist die eigene Motivation. Wenige Meter vom künftigen Hühnerstall entfernt liegt das »Industriezentrum«, wie es Quim ironisch nennt. Da befindet sich unter anderem eine kleine Bieranlage, mit der nach Lust und Laune hin und wieder Bier gebraut wird. Zum Verkauf? Nein, wir sind nicht wettbewerbsfähig, das würde sich nicht lohnen. Am Geschmack liegt das nicht, ergibt die Verkostung.

Wettbewerbsfähig ist man dagegen beim Brot. Im Nebenraum der Bieranlage befindet sich ein alter, großer Backofen. Er ist Hauptquelle der geringen monetären Einnahmen, über die die Kommune verfügt. 80 bis 100 Kilo Brot die Woche würden gebacken, so Quim, und alles über die rund 20 Kilo Eigenverbrauch wird über eine Landkooperative in der Nachbarschaft erfolgreich vertrieben. Weitere Einnahmequellen sind zwei Pferde und ein Pony, die gegen Entgelt in Pflege sind. Klar, wenn man offizielle Statistiken zu Rate zieht, würden die Bewohner mit monetären Maßstäben gemessen unter die Superarmen fallen. Durchgerechnet hätten sie ihr Pro-Kopf-Einkommen freilich noch nie, es reicht gerade so, beschreibt Quim die Lage. Schließlich seien auch die Kosten niedrig, da sie für Strom, Wasser und Miete entfallen.

Von der Weltwirtschaftskrise, die in Spanien zu einer Verdopplung der Arbeitslosenrate binnen Jahresfrist geführt hat, ist in Kan Pasqual nichts zu spüren. »Der Brotverkauf läuft wie immer«, erzählt Ricky, »Essen muss man schließlich auch in der Krise.« »Die Krise kann uns nichts anhaben, weil wir in die Kreisläufe der Geld- und Kreditwirtschaft so gut wie nicht einbezogen sind«, ist sich Ricky sicher. Was in der Welt und in Spanien passiert, bleibt den Bewohnern von Kan Pasqual nicht verborgen, schließlich gibt es Internet. Auch realen Kontakt mit der Außenwelt jenseits von befreundeten Zirkeln gibt es durchaus. Mitten durch das Gelände von Kan Pasqual führt nämlich ein offizieller Wanderweg, den auch Radfahrer gerne nutzen. Die zeigen sich zuweilen irritiert, wenn sie zur Mittagszeit auf einen reichlich besetzten Tisch auf dem schmalen Weg stoßen und machen hin und wieder Anstalten umzukehren. »Sie dürfen weiterfahren, es passiert Ihnen nichts!«, heißt dann die Parole für ängstliche Unwissende.

Wenn außerordentliche Investitionen zum Beispiel im Zusammenhang mit Baumaßnahmen anstehen, für die die normalen Einnahmen nicht genügend Mittel hergeben, dann wird einfach eine fería veranstaltet – ein Fest zur Generierung zusätzlicher Einnahmen. Dort, abseits der Konkurrenz der Massenproduktion, ist auch das Bier Marke Eigenbrau wettbewerbsfähig.

Auf der Suche nach den Rissen der Gesellschaft

Auch wenn Autonomie groß geschrieben wird – wird der Staat nicht verbissen als militant zu bekämpfender Gegner betrachtet. Zwar wird ähnlich wie bei den Zapatisten im mexikanischen Chiapas an den Aufbau alternativer Grundschulen gedacht, aber da wie dort würde im weiterführenden Bereich noch kein Weg an öffentlichen Schulen vorbeiführen, macht Quim in gelassenen Realismus. »Wir sind uns bewusst, dass wir trotz allem Teil dieser Gesellschaft sind, wir suchen jedoch ihre Risse und versuchen, sie zu vertiefen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann einstürzt.« Ganz so radikal wie diese Selbstbeschreibung kommt Kan Pasqual nicht rüber. Man harrt gelassen, relativ frei und bescheiden der Dinge, die da kommen. Das immerhin schon seit fast 13 Jahren. Der steile und lange Weg ist gleichermaßen das Ziel.

Alle Namen von der Red. geändert

Regenerative Energien werden großgeschrieben: Ein Windrad auf dem Dach von Kan Pasqual sorgt für kostenlose Energie.
Regenerative Energien werden großgeschrieben: Ein Windrad auf dem Dach von Kan Pasqual sorgt für kostenlose Energie.
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