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»Natürlich bedienen wir auch Klischees«

Das Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof zeigt Traditionelles, aber mit Tiefgang. Jetzt widmet sich Deutschlands größtes Freilichtmuseum der NS-Vergangenheit des Schwarzwalds in der neuen Sonderausstellung »Dorf unterm Hakenkreuz«.

  • Patrick Kunkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Reportage - Vogtsbauernhof: »Natürlich bedienen wir auch Klischees«

Es klappert die Mühle, es rauscht der Bach. Die Frauen tragen – natürlich – Hüte mit roten Bollen und die Männer Sensen über der Schulter. Blumen blühen, Gänse schnattern und im Hintergrund bimmelt die Glocke der Dorfkirche. Und drinnen, in dem alten mächtigen Bauernhaus mit dem runtergezogenen Walmdach, dem Herrgottswinkel und der rauchgeschwärzten Küche, knarzen die Dielen unter den Füßen. Kurz: Ein Schwarzwaldidyll wie aus dem Bilderbuch. Genau solche Szenen bekommt man im Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof wirklich zu sehen. Passionierte Zeitenbummler können dort zwischen dem ehrwürdigen Hippenseppenhof und einem Leibgedinghäusle in die Schwarzwälder Vergangenheit eintauchen – oder in das, was sie dafür halten. War das Leben wirklich so? Damals, auf dem Land? Und gehörten Bollenhut, Kuckucksuhr und Kirschtorte genauso zum Schwarzwald wie Schindeldächer, Kühe und Holzfäller?

Keine verkleideten Schauspielerinnen

»Natürlich bedienen wir auch Klischees«, sagt der wissenschaftliche Leiter des Museums, Thomas Hafen. »Das wird noch immer erwartet. Aber unsere Besucher registrieren mit Freude, dass hinter diesen Klischees auch eine tiefe, weitgehende Kultur- und Sozialgeschichte steckt.« Das Freilichtmuseum Vogtsbauernhof ist eine der größten Touristenattraktionen des Schwarzwalds, mit riesigen Parkplätzen für Busse und Pkw. Doch der Bildungsanspruch unterscheide es von Erlebniswelten aller Art, sagt Thomas Hafen: »Viele andere Gegenden wären froh, sie hätten solche Klischees, auf die sie aufbauen könnten. Landauf, landab kämpfen Museen, Dörfer, Städte um irgendetwas, was es anderswo nicht gibt. Der Schwarzwald ist voll mit diesen Dingen.«

Mit Bollenhüten an jeder Ecke zum Beispiel. Wer mit dieser Vorstellung ins Freilichtmuseum kommt, wird schnell etwas dazulernen: »Wir haben auch Bollenhutmädchen«, sagt Margit Langer, die Betriebsleiterin des Vogtsbauernhofs. »Das sind keine verkleideten Schauspielerinnen, sondern echte Bollenhutträgerinnen aus den Vereinen in Gutach, die ihre Tracht wirklich mit Bewusstsein tragen.« Die Frauen erklären den Leuten, dass so ein Bollenhut mitnichten im ganzen Schwarzwald, sondern ausschließlich im kleinen Gutachtal getragen wird, dass er zwei Kilogramm wiegt und aus einem Unterhut aus Stroh besteht, der mit 14 roten oder schwarzen Stoffbollen bestückt ist. Sie geben Auskunft, dass die Socken, die zur Tracht gehören, aus Hasenangora sind, was genau das Peterle ist und was der Goller. Und wie sich das anfühlt, solch ein Ungetüm von Hut bei 30 Grad Hitze zu tragen. Man lernt im Vogtsbauernhof auch, dass die Konfessionsgrenzen zwischen den Tälern zur Erhaltung der Tracht beigetragen haben, weil die protestantische Enklave Gutach sich mit der Tracht streng von ihrer katholischen Umgebung abgegrenzt hat. Sie ist Kirchentracht.

»Wir haben den Anspruch, dass wir Wissen vermitteln wollen, sonst wären wir ja kein Museum«, sagt Margit Langer. »2008 haben wir fast 1500 Führungen durchgeführt, das ist eine stolze Zahl. Ich kenne kaum ein anderes Museum, das so viele Führungen veranstaltet wie wir.« Insgesamt kamen im vorigen Jahr 227 000 Besucher ins Gutachtal, seit der Eröffnung 1964 waren mehr als 13,5 Millionen Menschen in Gutach, die dort den Schwarzwald zu finden hoffen, aber mit Tiefgang. Das Museum ist eines der größten Freilichtmuseen Deutschlands, es erforscht und vermittelt die Kulturgeschichte aller ländlichen Schwarzwaldregionen.

»Es gibt hier immer beides«, sagt Margit Langer: »Das Ereignis für die vielen Besucher, die einfach auch einen schönen Sonntag verbringen wollen. Und dann gibt es bei fast jeder unserer Veranstaltungen die Gelegenheit, sich über die tieferen Inhalte zu informieren.« Dass man dabei nicht nur die Bilderbuchseiten des Schwarz-walds im Blick hat, dokumentiert die Sonderausstellung, die Ende April eröffnet wurde: »Wie der Krieg nach Hause kam. Der Schwarzwald von 1939 bis 1945«. »In Erlebniswelten würden alle sagen, das ist marktstrategisch unklug. Einen Krieg kann man nur verlieren«, sagt Margit Langer. »Wir aber wollen damit auch signalisieren, dass wir nicht nur eine Freizeiteinrichtung sind, in der man sich vergnügen kann, sondern eine Bildungsinstitution, in der wissenschaftlich gearbeitet wird.«

Kartoffelsack mit Hakenkreuz

Die Ausstellung anlässlich des Kriegsbeginns am 1. September vor 70 Jahren ist Teil des Gemeinschaftsprojektes »Dorf unterm Hakenkreuz« der sieben Freilichtmuseen in Baden-Württemberg, das unter verschiedenen Blickwinkeln an die Kriegszeit im deutschen Südwesten erinnern will. Im altehrwürdigen Hippenseppenhof in Gutach wird gezeigt, wie Nationalsozialismus und Krieg das Leben in den abgelegenen Schwarzwaldtälern veränderte. Auf alten Fotos sieht man Trachtenträgerinnen samt Blumenkranz und Hakenkreuzfähnchen oder das reich beflaggte Wolfach anlässlich eines NSDAP-Parteitages 1938. Feldpostbriefe, Zeitungsmeldungen und offizielles Propagandamaterial zeigen, wie die Bevölkerung dem Regime zustimmte – auch im Schwarzwald. Aber auch, wie das Althergebrachte durcheinander- gebracht wurde: »Die Ausstellungsarchitektur soll von den Besuchern durchaus als störend empfunden werden«, erklärt Hafen. »Mit Draht und Restholz kreuz und schräg ins Bauernhaus gezimmert. Ein bisschen eben, wie vermutlich die Kriegsnachrichten nach 1939. Das hat auch gestört, hat nicht in den Kram gepasst. Doch es betraf das ganze Haus. Es zerstörte die Ordnung auf dem Hof und gefährdete die Hofgemeinschaft, die über Jahrhunderte traditionell immer so funktionierte, dass jeder auf dem Hof seinen Platz und seine Aufgabe hatte.« Die Männer verschwanden vom Hof an die Front, dafür kamen Zwangsarbeiter aus Polen, Frankreich oder Italien.

Die Exponate kommen von privaten Leihgebern, aus Archiven und anderen Museen. »Eine erste Bestandsaufnahme hier in unserem Depot fiel niederschmetternd aus«, sagt Hafen. »Wir hatten haargenau zwei Objekte, die nachweislich aus der Zeit zwischen 1939 und 1945 stammen: Einen Teller mit Hakenkreuzen und einen Kartoffelsack mit geschwärztem Hakenkreuz. Das war nicht der Bestand, der nach einer Sonderausstellung drängt.« Und ein bisschen zeigt das auch, wie mit der Zeit zwischen 1939 und 1945 nach dem Krieg umgegangen wurde: Was an diese Jahre erinnerte, wurde schnell entsorgt – vergraben im Wald oder hinterm Haus. Ein inszenierter Misthaufen zeigt Dinge, die vor dem nahenden Feind noch schnell versteckt werden sollten: Hakenkreuzabzeichen oder eine Hitlerbüste. »Museen können nicht immer ausschließlich das zeigen, was ihre Besucher gerne sehen«, sagt Thomas Hafen. Auch Sichtweise zeichnet das Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof aus.

Die Vorhaben für die nächste Zukunft dürften den Besuchern gewiss gefallen: Noch in diesem Jahr wird eine Kuhglockenorgel eröffnet, im kommenden Jahr möchte man ein Schwarzwaldkabinett im Hippenseppenhof einrichten. In der Planung ist außerdem ein neuer Spielplatz und ein neuer Picknickbereich. Auch weitere sozialgeschichtliche Themen sollen nach und nach aufgearbeitet werden, etwa der Salpeteraufstand im Hotzenwald oder das Thema Volksfrömmigkeit.

Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof, 77793 Gutach, Öffnungszeiten: Ende März bis Anfang November täglich 9-18 Uhr, Eintritt: Erwachsene 6 Euro, Kinder und Jugendliche 3 Euro.
www.vogtsbauernhof.org

Das Freilichtmuseum Vogtsbauernhof zeigt neben bekannten Exponaten aus dem Alltag der Bauern auch die von vielen allzu rasch verdrängte NS-Geschichte.
Das Freilichtmuseum Vogtsbauernhof zeigt neben bekannten Exponaten aus dem Alltag der Bauern auch die von vielen allzu rasch verdrängte NS-Geschichte.
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