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  • »Baseballschlägerjahre«

Die Vorläufer des NSU

Felix Krebs und Florian Schubert haben Hamburgs »Baseballschlägerjahre« in den 80er Jahren untersucht

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf dem großen Transparent steht auf türkisch: »Nieder mit dem Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit!« Am 11. Januar 1986 demonstrierten 10 000 Menschen in Hamburg im Gedenken an den von Nazi-Skins ermordeten Ramazan Avci - die bis dato größte Demo gegen rassistische Gewalt in der BRD.
Auf dem großen Transparent steht auf türkisch: »Nieder mit dem Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit!« Am 11. Januar 1986 demonstrierten 10 000 Menschen in Hamburg im Gedenken an den von Nazi-Skins ermordeten Ramazan Avci - die bis dato größte Demo gegen rassistische Gewalt in der BRD.

Am 3. Oktober 1980 fanden in Westdeutschland Bundestagswahlen statt. Die NPD warb bundesweit mit der Forderung »Ausländer-Stopp – Deutschland den Deutschen« und bekam 68 096 Stimmen, das waren 0,18 Prozent. Man könnte meinen, das sei unbeachtlich, doch ihre Parole wurde weit über ihren direkten Einflussbereich hinaus geteilt. Von Bundeskanzler Helmut Schmidt ist im November 1981 in Hamburg auf einer Veranstaltung des DGB die Aussage überliefert: »Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.« Wenige Monate später wurde Schmidt in der »Zeit« zitiert: »Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze«, habe er bei einer »Kanzler-Runde mit Wirtschaftsführern und Gewerkschaftern« ausgerufen. Für Nina Grunenberg, Autorin des Artikels, sah »das, was sich in der Türkenfrage anbahnt, einem Rassenproblem ziemlich ähnlich«.

Damals meldete sich der Neonazi Michael Kühnen in einem Interview zu Wort, direkt aus dem Gefängnis, wo er seit 1979 wegen Volksverhetzung einsaß, und verkündete, dass »das Hauptgewicht der NS-Bewegung (…) hauptsächlich die Ausländerfrage sein« werde. Er hoffe sehr darauf, dass es mit der »Überfremdungsdiskussion« langfristig gelingen werde, zu einer »einheitlichen systemgegnerischen Organisation« zu gelangen, um eine »Massenbasis« zu bekommen. Das hat die AfD mittlerweile geschafft.

Kühnen hatte 1977 in Hamburg-Wandsbek die »Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten« (ANS/NA) mitbegründet und in Straßenaktionen den Holocaust geleugnet. Auch wenn bei der Bundestagswahl 1980 in Hamburg von etwa 1,2 Millionen Wahlberechtigten nur 1742 Wähler der NPD ihre Stimme gaben, so war hier doch eine aggressive Faschoszene entstanden.

Nun haben sich die Antifaschisten Felix Krebs und Florian Schubert daran gemacht, eine minutiöse Chronologie rechter und rassistischer Gewalt in Hamburg für die Dekade der 80er Jahre vorzulegen. Unter dem Titel »Hamburgs Baseballschlägerjahre« skizzieren sie zunächst die Entstehung einer neonazistischen Szene in der Hansestadt in den 70er Jahren.

Die Bedeutung dessen, was dann für den Faschismus in diesem Land weit über Hamburg hinaus folgte, lässt sich kaum überschätzen: »Die Hamburger Protagonisten Michael Kühnen, Christian Worch, Thomas Wulff und Jürgen Rieger prägten die bundesweite Entwicklung des Neonazismus für Jahrzehnte, ab 1989 auch in den östlichen Bundesländern.«

Die Autoren stützen sich auf eine intensive Auswertung aller verfügbaren Hamburger Tages- und Wochenzeitungen sowie von Drucksachen der Hamburger Bürgerschaft. Ihre Bilanz für das Hamburg der 80er Jahre ist düster: acht Tötungsdelikte, ein Dutzend Brandanschläge mit rassistischen Bekenntnissen, darüber hinaus noch einmal ein Dutzend Brandanschläge auf Migranten, bei denen kein Bekenntnis festzustellen war. Es sind wenigstens 60 schwere Körperverletzungen mit oftmals mehreren Opfern, ausgeführt mit Hieb- und Stichwaffen zu verzeichnen.

Manchmal fand das sogar Eingang in die Berichterstattung bürgerlicher Zeitungen. Mitte November 1984 berichtete das »Hamburger Abendblatt« über die besorgniserregende Zunahme der Zahl nazistischer Straftaten: »Auf dem Ohlsdorfer Friedhof verwüsteten unbekannte Täter jüdische Gräber und versprühten antisemitische Parolen. Hakenkreuze und SS-Runen werden an die Hauswände in vorwiegend von Ausländern bewohnten Stadtteilen geschmiert. Vor den Büros linksgerichteter Parteien explodierten Brandsätze. In Sasel hob die Polizei am letzten Wochenende in der Wohnung des Rechtsextremisten Andreas G. ein Waffenlager aus.« Um dann lakonisch zu fragen: »Sind die Neonazis wieder im Kommen?«

Eine Frage, die den von der SPD geführten Senat im Grunde nicht beunruhigte. Nachdem im Stadtteil Veddel 1987/88 sieben Brandanschläge auf türkische Gemüseläden bekannt geworden waren, erklärte der Senat, es sei wohl von Einzelstraftaten auszugehen, da es keine Hinweise gebe, »die auf einen politischen Hintergrund schließen lassen«. Zu Präventivmaßnahmen sehe man keinen Anlass. Und so weiter und sofort.

Ein besonderes Kapitel widmen Krebs und Schubert der Ermordung von Ramazan Avci, der im November 1985 von Skinheads in bestialischer Weise totgeschlagen wurde. Die Autoren prangern die einseitigen, nachlässigen Ermittlungen ebenso an wie die Weigerung von SPD, FDP und CDU, hier von einem rassistischen Mord zu sprechen. Allgemein war die etablierte Politik – mit Ausnahme des späteren Bürgermeisters Henning Voscherau – nicht dazu bereit, den sich in der Skinheadszene ausbreitenden Neonazismus zu thematisieren. Krebs und Schubert führen das unter anderem darauf zurück, dass der sich hier ausdrückende Rassismus in Form einer sogenannten Fremdenfeindlichkeit von einem Großteil der Gesellschaft geteilt wurde.

Die rechte Gewalt wurde von Behörden und Politikern meistens als unpolitisch eingestuft und als »ganz normale Jugend-Bandenkriminalität« verharmlost. Die polizeilichen Ermittlungen zu rechten Gewalttaten wurden in den 80er Jahren nicht von dem für politische Delikte zuständigen Staatsschutz geführt, sondern vom sogenannten Rocker-Dezernat, das der Abteilung für Organisierte Kriminalität unterstellt war. Von Rassismus zu sprechen, war damals in der Hamburgischen Bürgerschaft verpönt. Hier hielt man stattdessen den Begriff »Ausländerfeindlichkeit« für probater, wohl um zu betonen, dass hier über Menschen zu sprechen war, die man nicht zur deutschen Gesellschaft zählte.

»Baseballschlägerjahre« ist ein journalistisches Schlagwort, mit dem eine Zeit rechten Alltagsterrors in den 90er Jahren, vor allem in Ostdeutschland, beschrieben wird. Krebs und Schubert wählten diesen Ausdruck als Buchtitel, um »auf die Vorgeschichte der gewaltförmigen Entwicklung der 90er Jahre« hinzuweisen, räumen aber an anderer Stelle ein, dass die rechte und rassistische Gewalt der 80er Jahre in Hamburg nicht gleichzusetzen sei »mit der Explosion der Gewalt in den ostdeutschen Bundesländern ab 1989/90«.

In den 80er Jahren speiste sich rassistische Gewalt in Hamburg wesentlich aus dem Hass auf türkische Menschen. Dieser war immer an den herrschenden politischen Diskurs angebunden und fand ab 2000 seine Fortsetzung in der Mordserie des NSU, die von den damaligen Neonazis programmatisch vorgedacht wurde.

Es wäre wünschenswert, wenn diesem Buch ähnliche Untersuchungen folgten, existiert doch bis heute ein enormes Dunkelfeld nazistischer und rassistischer Gewalt in den westlichen Bundesländern.

Felix Krebs/Florian Schubert: Hamburgs »Baseballschlägerjahre«. Rechte und rassistische Gewalt in den 1980er Jahren: gesellschaftliche Bedingungen und staatliche Reaktionen. VSA-Verlag, 176 S., br., 18,80 €.

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