Brian Wilson und der Wind

Von manisch bis lethargisch alles drin: Brian Wilson ist tot

Ein friedlicher Mann, irgendwann: Brian Wilson, der Mozart der Beach Boys
Ein friedlicher Mann, irgendwann: Brian Wilson, der Mozart der Beach Boys

Einmal beschrieb sich Brian Wilson in einem seiner Songs als »ein Blatt an einem windigen Tag«, das durch die Luft gewirbelt wird – »until I die«. Das war 1971 und er glaubte, es dauert nicht mehr lange. Sein Gärtner sollte schon mal ein Grab ausheben, sagte er. Man musste sich den Sänger, Komponisten und Produzenten der Beach Boys als ein unglückliches Genie vorstellen, das nur von Kaffee, Zucker und Zigaretten lebte – schwer übergewichtig im Schlafanzug in seinem Bett, das er kaum zu verlassen wagte. Mehr oder weniger über Jahrzehnte, denn er wollte eine neue Musik erfinden, die er aber nur in seinem Kopf hörte: Eine Symphonie für Teenager und den lieben Gott auf einmal, genannt »Smile«.

Ende 1966 fing er damit an. Es erschien die Single »Good Vibrations«, die Produktion kostete 50 000 Dollar und dauerte sechs Monate, es ist die bis dahin teuerste Single aller Zeiten. Dreieinhalb Minuten, geschaffen aus 90 Stunden Tonmaterial. Kein Vergleich mit den Surf-Singles, die die Beach Boys Anfang der 60er berühmt gemacht hatten und die Wilson sich im Akkord ausdenken musste. Wie sein Vorbild Phil Spector war Brian Wilson einer der ersten Musiker, die das Studio als Musikinstrument begriffen. Und Alben als eigene Kunstform: Anfang 1966 hatte er das Meisterwerk »Pet Sounds« geschaffen, was die Beatles so beeindruckte, dass sie 1967 »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band« rausbrachten. »Smile« sollte darauf die ultimative Antwort sein, doch es erschien erst 2004. Das dauerte alles ewig. Erst Ende der 80er Jahre konnte sich Wilson wieder halbwegs bewegen. Wichtig war der Ratschlag seines Psychiaters Eugene Landy: »Wenn du Stimmen in deinem Kopf hörst, dann wechsele einfach den Sender, wie im Radio«.

Schuld war wieder mal die Familie. Brian Wilson wurde gehänselt, geprügelt, verachtet. Erst von seinem monströsen Vater, dann von seinen Cousins, weniger von seinen Brüdern, mit denen er die Beach Boys bildete, aber auch von seiner ersten Ehefrau.

Brian Wilson hat sie alle überlebt. Ein friedlicher Mann, den irgendwann alle gut fanden und ihn – wie Sean Lennon – den »amerikanischen Mozart« nannten. Er starb am vergangenen Mittwoch, neun Tage vor seinem 83. Geburtstag. Der Wind hat ihn lange getragen. 

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