Taktischer Umzug im Gängeviertel

Besetzer räumen zwei verkaufte Häuser im Hamburger Künstler-Quartier – im Tausch für ein vorläufiges Ersatz-Domizil

  • Mirko Knoche, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Kompromiss im Hamburger Gängeviertel: Im Streit um die besetzten Häuser in dem historischen Kiez haben die Künstler am Montag zwei Häuser geräumt. Im Gegenzug überlässt ihnen die Stadt vorläufig drei andere Häuser innerhalb des Viertels.

Vor zwei Monaten erst zogen Dutzende Künstler in die selbst ausgebauten Atelierräume im historischen Hamburger Gängeviertel. Schon jetzt müssen sie zum ersten Mal umziehen. Am Montagabend räumten sie zwei von acht besetzten Gebäuden in der Neustadt: die »Fabrik« und die »Druckerei«. Dort hatten sie zuvor Kunstwerke ausgestellt und zu Veranstaltungen eingeladen. Im Gegenzug überlässt die Stadt Hamburg den Künstlern vorläufig drei andere Häuser innerhalb des Gängeviertels.

Die Künstler kommen mit ihrem Umzug einer befürchteten Räumung bevor. Der niederländische Finanzinvestor Hanzevast hatte am Montag die beiden nun verlassenen Gebäude von der städtischen Sprinkenhof AG gekauft, bestätigte die Hamburger Kulturbehörde auf Nachfrage von ND. Die Niederländer wollen dort einen Bürokomplex errichten. Die übrigen Gebäude gehören der Stadt Hamburg direkt. Sie müssen erst im neuen Jahr nach Zahlung der dritten und letzten Rate durch Hanzevast an den Investor übergeben werden. Dann könnte die holländische Heuschrecke mit dem Bürobau beginnen.

Die Hausbesetzer erklärten am Montagabend, sie hätten mit ihrem Auszug verhindert dass »durch Schadensersatzforderungen von Hanzevast in Millionenhöhe unnötig Steuergelder verschwendet werden«. Gleichzeitig beschuldigen sie Hamburgs Finanzsenator Michael Freytag (CDU), seine Behörde habe eine Rückabwicklung des Vertrags mit Hanzevast verhindert. Ein Sprecher Freytags wollte sich gegenüber ND dazu nicht äußern.

Hamburgs parteilose Kultursenatorin Karin von Welck hatte dagegen mehrfach Sympathie für das Künstlerprojekt »Komm in die Gänge« geäußert. Die Kulturbehörde führte bislang die notwendigen Gespräche mit Ämtern, Künstlern und Investor. Die Kultursenatorin dürfe aber nichts entscheiden, hatte Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher der Hamburger Linksfraktion, kritisiert. Während die Finanzbehörde hinter den Kulissen den Verkauf des Gängeviertels mit aller Kraft vorantreibe, stelle sich die Behörde für Stadtentwicklung tot, so Hackbusch. Wie die Linksfraktion verlangte auch die Gängeviertel-Initiative, dass die grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk öffentlich Stellung bezieht. Am Dienstagvormittag zog der schwarz-grüne Hamburger Senat dann die Reißleine. Das städtebauliche Konzept für das Gängeviertel wurde auf GAL-Senatorin Hajduk übertragen. Offiziell leiten Kultur- und Stadtentwicklungsbehörde die Gespräche nun gemeinsam.

Inzwischen gehen im Poker um die neue Künstlerkolonie immer mehr Beobachter davon aus, dass Hanzevast lediglich blufft. So habe der in Finanznöte geratene Investor nur deshalb in letzter Minute die jüngsten Raten an die Stadt Hamburg und die Sprinkenhof AG überwiesen, um sich später teuer aus dem Vertrag herauskaufen zu lassen. Denn die letzte Rate sei für die Niederländer nicht zu stemmen. Dergleichen wurde allerdings schon für die gerade eingegangene zweite Rate behauptet.

Die Künstler im Gängeviertel setzen im Polit-Hickhack dagegen weiter auf Basisinitiative. So nahmen hunderte Hamburger am vergangenen Wochenende an einer Lichterkette teil. Sie protestierten gegen den Abriss des früheren Arbeiterquartiers. Mit der Finanzbehörde habe man sich darauf geeinigt, die Räume bis zum endgültigen Verkauf an Hanzevast für Kunstausstellungen und Ateliers weiter zu nutzen, so eine Sprecherin von »Komm in die Gänge« auf Nachfrage von ND. Die Vereinbarung sei allerdings noch nicht in Schriftform gegossen.

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