Unbeugsame Erfahrungsüberlegenheit

Ein Kölner Institut hat den Ostdeutschen in die Seele geblickt – und ganz menschliche Züge entdeckt

»Super-Illu« und Tiefenpsychologie – das passt zusammen wie Wolfgang Schäuble und Datenschutz. Weil aber die Illustrierte das Wesen der Ostdeutschen erforschen ließ und bald Mauerfall-Jubiläum ist, war die Bude voll beim Pressetermin.
Der Fluchtpunkt der Ostdeutschen
Der Fluchtpunkt der Ostdeutschen

Jochen Wolff hat sich so seine Gedanken gemacht. Zwar ist der Bayer seit fast 20 Jahren Chefredakteur des Ost-Magazins »Super-Illu«, aber zum großen Einheitsjubiläum wollte er es genau wissen und bestellte eine Studie darüber, wie die Ostdeutschen heute ticken. Und damit das Werk unvoreingenommen gerät, hat er »ganz bewusst« ein Kölner Institut beauftragt – damit es »aus der Sicht des Westens die Dinge neutral betrachtet«. Ostforscher, so Wolffs Befürchtung, hätten vielleicht zu viel eigene Erfahrung eingebracht.

So hat das Institut Rheingold, das sich laut Eigenwerbung mit qualitativ-psychologischer Wirkungsforschung befasst, 80 demografisch gut sortierte Ostdeutsche befragt. Oder, wie Geschäftsführer Stephan Grünewald lieber formuliert, jeweils zwei Stunden lang auf die Couch gelegt. Etwas Ähnliches haben sie übrigens schon mal gemacht, vor drei Jahren, damals mit Probanden aus der gesamten Bundesrepublik; das daraus resultierende Buch »Deutschland auf der Couch« nennt Grünewald interessanterweise ein Psychogramm der Westdeutschen.

Da fehlte offenbar etwas; nun also die Ostdeutschen. Von denen kursieren zwei Medienbilder: der Wendeheld und der Jammerossi. Als echter Profi hat Grünewald gleich geahnt, dass es in Wirklichkeit nicht so einfach ist. Und siehe: Die meisten Ossis bewegen sich zwischen den Stereotypen. Sie zeichnen sich durch »praktizierte Lebensbeherrschung« aus, weshalb sie auf Luxus verzichten, Obst preiswert kaufen und selbst kochen und backen. Sie sind bodenständig und naturverbunden, was sich etwa in ihrem Hang zum Wandern dokumentiert. Sie bevorzugen einen geregelten Tagesablauf mit festen Aufsteh-, Essen- und Schlafzeiten – im Gegensatz zum »überfrachteten und fragmentierten westlichen Multioptions-Alltag«. Sie basteln lieber mit ihren Kindern Kastanienmännchen und genießen dabei »das Gefühl, ein eigenes, konkretes Werk zu schaffen«, statt wie der Westdeutsche im Banne einer »gehetzten Glücksmaximierung« zu stehen.

Freilich, so Grünewald, gibt's im Osten verschiedene Menschen: Jammerer und Durchwurschtler, Harmonisierer und Planerfüller, Stehaufmännchen und Durchbeißer. Aber insgesamt sind sie alle prima Kerle, mit denen man aus jedem Schlammassel herauskommt und die sich nicht unterkriegen lassen, weder von Hitler noch von Ulbricht noch von der Treuhand oder der Bankenkrise. Aus diesen vielen Untergangserlebnissen beziehen die Ostdeutschen, laut Grünewald jedenfalls, eine »unbeugsame Erfahrungsüberlegenheit«, die sie aber nicht marktschreierisch ausbreiten. Höchstens, dass sie mal ein bisschen ironisieren – »eine charmante Form des Widerstands«. Mal ehrlich: Wer kein Ossi ist, möchte spätestens jetzt einer werden.

Und wenn alles aus den Fugen gerät und vielleicht auch noch die Arbeit futsch ist, geht der Ossi in seinen Kleingarten und frönt dort ungehemmt natürlichen Lebensrhythmen. Denn das hat Jochen Wolff aus der Studie gelernt: Ihm ist klar, dass der Schrebergarten für die Ostdeutschen »ein Fluchtpunkt ist«, um sich einen geregelten Alltag zu erhalten.

Übrigens wäre Wolffs Vorsicht vor einem Ost-Institut gar nicht nötig gewesen. Denn Grünewalds Team hat ganz neutral noch etwas Gravierendes herausgefunden: Die Mehrheit der Ostdeutschen meutert eher im Stillen. Vielleicht sogar hätten uns ostdeutsche Psychologen die eine oder andere Banalität erspart.

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