Verhageltes »Heldengedenken« für NPD und Neonazis
Marsch in Wunsiedel kleiner als erwartet / Proteste in Halbe und Arnstadt
Wunsiedel (ND-Meyer). Im bayerischen Wunsiedel ist am Samstag der »Gedenkmarsch« für Jürgen Rieger, den verstorbenen NPD-Vize und Finanzier der Nazi-Szene, zu einem Fiasko für die aufrufende NPD geraten.
Statt – wie befürchtet – Tausende kamen nur etwa 850 Rechtsextreme in die Stadt, in der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß begraben liegt. Auf einer stark verkürzten Route demonstrierten die Neonazis für etwa eine Stunde am Stadtrand. Die Stadt setzte dem braunen Aufzug eine Gedenkveranstaltung an die 30 Opfer des Todesmarsches aus dem KZ Flossenbürg nach Buchenwald entgegen, der am 15. April 1945 durch Wunsiedel gezogen war. Etwa 1000 Menschen folgten dazu dem Aufruf der Bürgerinitiative »Wunsiedel ist bunt – nicht braun« und schritten mit Kerzen die Route des Todesmarsches im Stadtgebiet ab. Am Rande der Gegenkundgebungen wurden neun Gegendemonstranten festgenommen.
Wunsiedels Bürgermeister Karl-Willi Beck (CSU) kritisierte die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, den Aufmarsch der NPD zu erlauben, als »Provokation der aktiven Bürgerschaft«. Allen sei klar, so Beck, dass es den Rchtsextremen nur darum gegangen sei, wieder einmal in Wunsiedel zu marschieren. Die »Heßmärsche«, die die Kleinstadt jahrelang in Atem gehalten hatten, dürfen seit fünf Jahren nicht mehr stattfinden. 2004 waren etwa 5000 Rechtsextreme aus ganz Europa zu diesem Anlass in die Stadt gekommen. Rieger war stets als Anmelder aufgetreten.
Im brandenburgischen Halbe fiel am Wochenende eine nahe der dortigen Kriegsgräberstätte geplante Neonazi-Kundgebung aus. Die Rechtsextremen hatten ihre Klientel nach Wunsiedel umgeleitet. Dennoch versammelten sich in dem Ort südlich von Berlin etwa 2000 Menschen zu einem Bürgerfest unter dem Motto »Vielfalt tut gut«. Zu der Veranstaltung hatte durch einen gemeinsamen Antrag von SPD, Linkspartei und Grünen der Potsdamer Landtag aufgerufen. Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) würdigte das Engagement der Menschen vor Ort als »deutliches Zeichen«.
Auch im thüringischen Arnstadt haben rund 200 Menschen gegen einen genehmigten Aufmarsch von Rechtsextremisten protestiert. Im Anschluss an ein Friedensgebet zogen sie mit Kerzen durch die Stadt. Neonazis aus Südthüringen hatten den Marsch zu einem Kriegerdenkmal angemeldet. Die Polizei verhinderte Blockaden durch Gegendemonstranten und nahm 62 Nazigegner in Gewahrsam. Ihnen wird ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen.
In München protestierten ebenfalls Hunderte gegen eine Neonazi-Kundgebung. Der »Volkstrauertag« am Sonntag war im Dritten Reich als »Heldengedenktag« in-strumentalisiert worden.
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