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Darwins vergessene Pflanzen

Vor 150 Jahren erschien der Klassiker »Die Entstehung der Arten«

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Die erste Skizze dessen, was man heute Evolutionstheorie nennt, schrieb Charles Darwin (1809 – 1882) bereits 1842 nieder. Sie umfasste 35 Seiten und blieb ebenso unveröffentlicht wie ein längerer Essay, den er 1844 zu Papier brachte. Schon damals war sich Darwin der Tragweite seiner Entdeckung bewusst. »Wenn, wie ich glaube, meine Theorie richtig ist«, teilte er seiner Frau mit, »wird dies ein beträchtlicher Schritt in der Wissenschaft sein.«

Dennoch zögerte er die Veröffentlichung seiner Ideen weitere 15 Jahre hinaus. Erst ein drohender Prioritätsstreit mit dem britischen Naturforscher Alfred Russel Wallace zwang Darwin zum Handeln: Am 24. November 1859 erschien in London sein Hauptwerk über »Die Entstehung der Arten«, dessen Erstauflage von 1250 Exemplaren schon am ersten Tag vergriffen war. Und obwohl die darin vertretene Auffassung vom Wandel der Organismen die Prüfungen der Zeit glänzend bestanden hat, ranken sich um Darwins Werk bis heute zahlreiche Vorurteile und Missverständnisse.

Eines betrifft die simple Frage, was Darwin eigentlich »von Beruf« war. Ein Zoologe, werden die meisten vermutlich antworten, denn wo immer man die Evolutionstheorie veranschaulicht findet, ist von Tieren die Rede. Vergessen wird dabei gern, dass Darwin sich auch sehr stark für Pflanzen interessierte. Auf seinem Landsitz in Down ließ er mehrere Gewächshäuser errichten, in denen er Pflanzen züchtete und botanische Experimente durchführte. Und nach der Veröffentlichung seines berühmten Artenbuches verfasste er sogar mehrere dickleibige Werke über Botanik, die unter anderem von Orchideen sowie fleischfressenden und Kletterpflanzen handeln. Mit diesen Schriften habe Darwin »die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Botanik entscheidend beeinflusst«, heißt es in dem jüngst erschienenen Band »Darwin und die Botanik«, den der Basler Biologe Jürg Stöcklin und sein Berliner Kollege Ekkehard Höxtermann herausgegeben haben. Der Leser kann sich darin ausführlich und sachkundig über Darwins botanische Forschungen sowie über die neuen Erkenntnisse informieren, die der Begründer der Evolutionstheorie dabei gewonnen hat.

Außerdem wirft der Band neues Licht auf ein spannendes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte, das selbst im Darwin-Jahr wenig Beachtung fand: Schon während seiner fünfjährigen Schiffsreise auf der »Beagle« sammelte Darwin über 1400 Gefäßpflanzen – 211 davon auf den später berühmt gewordenen Galápagos-Inseln. Die Pflanzen schickte er paketweise an seinen ehemaligen Botanik-Lehrer John Stevens Henslow, der diese bis auf zwei Kakteen-Arten unbeachtet liegen ließ. Ironie der Geschichte: Henslow ging damals verstärkt seiner zweiten Leidenschaft als Prediger nach, was sich für die Rezeption von Darwins »Entstehung der Arten« im nachhinein als höchst bedeutsam erwies.

Denn fast jeder kennt heute die sogenannten Galápagos-Finken und die daran geknüpfte Schilderung, dass Darwin jene Vögel schon während seiner Reise genau beobachtet habe und dabei auf die Grundprinzipien seiner Abstammungslehre gestoßen sei. In Wirklichkeit war es der Ornithologe John Gould, der Darwin erst nach dessen Rückkehr auf die inselabhängige Verbreitung der Finken aufmerksam machte. Diese werden übrigens nicht einmal in dem Buch »Die Entstehung der Arten« erwähnt. Darwin hatte seine Theorie längst entwickelt, meint Stöcklin, als er erkannte, wie gut auch die Galápagos-Finken da hinein passten.

Was aber geschah mit den Galápagos-Pflanzen? Immerhin hatte Darwin, anders als bei den Finken, sorgfältig notiert, auf welcher Insel er auf welche Pflanzen gestoßen war. Ab 1843 übernahm anstelle von Henslow der junge Botaniker John Dalton Hooker die Aufgabe, die Galápagos-Pflanzen zu bearbeiten. Dabei entdeckte er 78 neue Arten und stellte fest, dass die Flora auf Galápagos mit jener des südamerikanischen Festlands eng verwandt ist. Heute würde man sagen, dass ähnlich wie die Finken auch die Galápagos-Pflanzen eine adaptive Radiation durchlaufen haben. Darunter versteht der Biologe die Auffächerung einer wenig spezialisierten Art unter dem Druck der Umweltverhältnisse in stärker spezialisierte Arten. Tatsächlich kommen viele Galápagos-Pflanzenarten nur auf einer Insel vor. Wie aber sind sie dorthin gelangt? Auch auf diese Frage gab Hooker in seiner pflanzengeografischen Pionierarbeit eine Antwort, die inzwischen als bestätigt gilt: durch Vögel, die Meeresströmung und den Wind.

Für Stöcklin besteht nach alldem kein Zweifel: »Die Ergebnisse Hookers spielten für Darwin eine wichtige Rolle bei der Formulierung seiner Evolutionstheorie und lieferten ihm wichtige Argumente, diese zu verteidigen.« Nicht zufällig war Hooker der Erste, dem Darwin im Januar 1844 anvertraute, dass biologische Arten nicht unveränderlich seien. Aber auch in sein Hauptwerk »Die Entstehung der Arten« sind die Galápagos-Pflanzen eingegangen, die noch in anderer Hinsicht für die Evolution bedeutsam waren. Stöcklin dazu: »Ohne Darwins Pflanzen gäbe es keine Darwin-Finken.« Denn die unterschiedlichen Schnabelformen der Finken sind gleichsam Ausdruck des Formenreichtums der Pflanzenwelt auf Galápagos.

Bliebe noch die eingangs gestellte Frage zu beantworten, was Darwin eigentlich war. Seinem Selbstverständnis nach war er weder Zoologe noch Botaniker, sondern ein Naturhistoriker, der in späteren Jahren auch experimentell forschte. Er habe damit das Ziel verfolgt, seine Hypothesen soweit wie möglich durch sorgfältige Versuche zu überprüfen, sagt Höxtermann, der als Botaniker besonderen Wert auf die Feststellung legt, dass Darwin »praktisch alle seine experimentellen Arbeiten an Pflanzen durchführte«.

Jürg Stöcklin/ Ekkehard Höxtermann (Hg.): Darwin und die Botanik. Basilisken-Presse, Rangsdorf, 246 S., 24 €.
Die Originale von Darwins Werken im Internet: darwin-online.org.uk

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