Glaskolben und Bergmannshämmer

Obwohl Bitterfeld und Wolfen fusioniert sind, wird die Bürgermeisterwahl entlang der alten Ortsgrenzen ausgefochten

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
In Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) ringen am Sonntag zwei Frauen in einer Stichwahl um den Rathaus-Chefposten. Schon die erste Wahlrunde zeigte, dass Bitterfeld und Wolfen, erst seit 2007 zu einer Stadt vereint, noch nicht zusammengewachsen sind.

Eines steht bereits fest: Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt wird weiter von einer Frau geführt. Wenn die Einwohner der viertgrößten Stadt in Sachsen-Anhalt am Sonntag in einer Stichwahl den Chefposten im Rathaus vergeben, haben sie die Wahl zwischen der parteilosen Amtsinhaberin Petra Wust sowie Dagmar Zoschke von der LINKEN. Die beiden schlugen in der ersten Runde vier Männer, darunter die Bewerber von CDU, SPD und der Initiative Pro Wolfen.

Auf dem Papier hat Wust bessere Aussichten; die 1952 geborene Ingenieurökonomin, die einst im Chemiekombinat Bitterfeld und bei ORWO Wolfen arbeitete, hat nicht nur den Amtsbonus, sondern lag mit 38,07 Prozent auch 1734 Stimmen vor Zoschke, die auf 24 Prozent kam. Zoschke, Jahrgang 1957, war Lehrerin für Geschichte, arbeitete später in einem Kindergarten arbeitete und seit 1994 als Mitarbeiterin von Abgeordneten.

Unterschätzter Faktor

Zoschke indes rechnet sich gute Chancen aus, den Rückstand aufzuholen – nicht nur, weil sie als Fraktionschefin im früheren Stadtrat Bitterfeld sowie Chefin des Sozialausschusses im Kreistag in der Kommunalpolitik erfahren ist. Sie verweist auch auf einen »Lagerwahlkampf«, der nicht entlang politischer, sondern geografischer Demarkationslinien ausgefochten wird und den die Kandidaten zunächst unterschätzt hätten.

Gemeint sind damit schlicht die ehemaligen Stadtgrenzen, die sich im Wahlverhalten deutlich widerspiegelten: Zoschke erfuhr erheblichen Rückenwind in Bitterfeld, Wust hat ihre Hochburgen in Wolfen, wo sie bis zur Fusion im Juli 2007 bereits Bürgermeisterin war.

Einwohnerzahl sinkt

Damals wurden die beiden Städte sowie drei Gemeinden zu einer neuen Kommune mit etwas weniger als 47 000 Einwohnern verschmolzen. Auslöser war der anhaltende Bevölkerungsrückgang in den beiden Industriestädten. Zwar prägt die Chemieindustrie weiterhin das Bild von Bitterfeld; doch in dem Chemiepark, wo unter anderem das Unternehmen Bayer Kopfschmerztabletten fertigt, arbeiten viel weniger Menschen als früher. Wo früher viele Bergleute Braunkohle förderten, erstreckt sich heute der Goitzsche-Stausee. Nur kleine Reste blieben von der Filmindustrie in Wolfen. In der Gemeinde Thalheim, die zur neuen Stadt gehört, haben sich zwar viele Solarunternehmen angesiedelt. Über dem »Solar Valley« zogen sich zuletzt aber Wolken zusammen, weil es bei Q-Cells mächtig kriselt. Missstimmung herrscht auch in der Bürgerschaft. Kritisiert wird vielfach, dass die zwei Städte und die Gemeinden, zu denen 2009 auch der kleine Ort Bobbau stieß, auch zwei Jahre nach der Fusion nicht wirklich zusammengewachsen sind. Anders als im neu entworfenen Stadtwappen, in dem ein Glaskolben aus einem Labor, die Bergmannshämmer, eine Sonne und ein Ährenbündel traut nebeneinander stehen, bestehe zwischen den neuen Ortsteilen nicht wirklich Gleichberechtigung.

So wird etwa in Bobbau geklagt, dass nach dem Beitritt für eine bisher von der Gemeinde bezahlte Seniorenbetreuerin kein Geld mehr aus dem Rathaus fließen soll. Ähnliche Klagen gibt es auch andernorts. Eine gehörige Mitverantwortung wird dabei der Rathauschefin zugeschrieben. Es gebe das Gefühl, dass Wust ihren Wohnort Wolfen bevorzuge, sagt Zoschke und kritisiert, es sei der Amtsinhaberin »nicht gelungen, eine gute Kommunikation aufzubauen und ein wirkliches Miteinander zu schaffen.«

Belächelte Plakate

Während Zoschke, die vom Bitterfelder Ex-Bürgermeister Werner Rauball unterstützt wird, nun einen »politischen Neuanfang« verspricht, scheint Wust die Vorwürfe ernst zu nehmen – und mit ihren Wahlplakaten widerlegen zu wollen. Dort steht sie vor Ortsschildern mit der Aufschrift »Bitterfeld-Wolfen«. Die aber, merken amüsierte Bürger an, gibt es gar nicht. Nach der Fusion erhielten die alten Schilder nur einen kleinen Zusatz.

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