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  • Kultur
  • Bücher zum Verschenken 2009

Zeitreise in die Vergangenheit

Wieder zu haben: »Spuk unterm Riesenrad« von C. U. Wiesner

  • Gisela Karau
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn ich nach langer Zeit die abenteuerliche Geschichte von C.U. Wiesner lese, tun sich vor meinem inneren Auge Bilder einer Republik auf, die so ganz andere Seiten hatte als sie jetzt aufgeschlagen werden. Hier wird ein Märchen erzählt von einem Land der guten Leute, in welchem selbst schwer erziehbare böse Geister zum Guten bekehrt werden konnten. Ein Märchen, klar. Aber was ist gegen Märchen zu sagen? Harry Potter ist ebenfalls eins. Nur – dieses spielt in der DDR.

Kaum zu glauben – man kann sich an sie auch mit einem Lächeln erinnern, ohne ihr Andenken mit dem Giftmüll der zur Zeit tobenden Erinnerungsschlacht zu verunstalten.

Wissen Sie noch? Da gab es in Treptow einen Freizeitpark mit einem Riesenrad, von dem aus man einen wunderschönen Blick auf die Spree hatte, und es gab neben anderen Attraktionen die Gespensterbahn, wenn ich nicht irre, waren es sogar zwei, eine private und eine volkseigene. In beiden haben sich meine Enkel richtig schön gegrault, und mir war auch nicht ganz wohl, wenn mir eine der stinkhässlichen Figuren krächzend einen nassen Lappen um die Ohren haute.

Oma und Opa Köhler sind im Buch stolze Besitzer einer solchen Geisterbahn, und ihre Enkel sollen ihnen in den Ferien bei ihrem hoch frequentierten Fahrgeschäft zur Hand gehen, was ihnen erst viel, dann immer weniger Spaß macht. Als sie drei Gespenster aus lauter Übermut mit Schokoladenpudding bekleckert haben, kommen sie auf die Idee, sie in der Spree zu baden. Oh Wunder, die Hexe, das Rumpelstilzchen und der Riese erwachen im Wasser plötzlich zum Leben und haun ab. Es handelt sich bei den Dreien, die Opa Köhler im Erzgebirge aufgespürt hat, um ein verzaubertes Burgfräulein, einen ehemaligen Fürsten von Sachsen-Anhalt und einen Landsknecht mit Bärenkräften.

Nun wird spannend erzählt, wie die Kinder und bald darauf auch Erwachsene einschließlich skeptischer Volkspolizisten den Flüchtigen nachjagen und sie bis zur Burg Falkenstein verfolgen. Dort wurde die Hexe vor ein paar hundert Jahren als die schöne Gräfin Emma geboren. Wegen ihrer Grausamkeit gegenüber den Armen hat sie ein Zauberer verwandelt. Nun träumt sie davon, die Burg wieder in ihren Besitz zu bringen. Rumpi, eigentlich Fürst Rumpold, einst ein Stinkstiefel mit hochfahrenden Herrscherallüren und daher zum Rumpelstilzchen geschrumpft, hat nichts Geringeres vor, als noch einmal Herr über Sachsen-Anhalt zu werden. Damals, als Wiesner die Geschichte schrieb, eine erheiternde Vorstellung, seit 1990 alles andere als komisch, denn sie sind tatsächlich wieder da, die »Ferschten«. Nur der Riese Otto, der nie mehr besessen hat als seine kräftigen Pranken, hegt bescheidene Wünsche, die in Schweinebraten mit Sauerkraut und Klößen gipfeln.

Die Hexe vermag es, sich und ihren beiden Kumpels wieder menschliche Gestalt zu geben, und so verdingen sie sich auf der Burg, wo wie überall im Lande Hände ringend Arbeitskräfte gebraucht werden. Rumpi sitzt an der Kasse – kassieren ist seine Lieblingsbeschäftigung – Emma hilft kochen und im Burgcafé servieren, und Otto bessert Mauern und Dachrinnen aus. Am Ende werden die Drei entlarvt und eingefangen, aber da sie sich durch ehrliche Arbeit bewährt haben, müssen sie nicht in die Geisterbahn zurück, sondern kriegen von der Polizei Personalausweise, können fortan als wackere Bürger in der DDR leben, und wenn sie nicht gestorben sind ...

Nach Wiesners Buch wurde eine viel und gern gesehene Fernsehserie gedreht. Fotos daraus illustrieren die Neuausgabe, der ich viele Leser und Leserinnen wünsche. Zwischen den Zeilen erfahren sie manches, was sie über die versunkene Republik sicher nicht wussten. Die Geschichte ist eine Zeitreise in die Vergangenheit, amüsant und auch ein bisschen lehrreich, wie es sich für gute Märchen gehört.

Claus-Ulrich Wiesner: Spuk unterm Riesenrad. LeiV Verlag. 128 S. m. Fotos, geb., 12,90 €.

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Spuk unterm Riesenrad
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