Zu Besuch beim »richtigen Weihnachtsmann«

In Santa Claus im Mittleren Westen der USA ist das ganze Jahr Weihnachten

  • Renzo Ruf, Santa Claus
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Dorf Santa Claus im USA-Staat Indiana, gegründet von deutschen und schweizerischen Einwanderern, hat sich seit hundert Jahren ganz dem Weihnachtsmann verschrieben.
Santa Claus vor dem Museum
Santa Claus vor dem Museum

Seit 1914 sind in Santa Claus Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Briefen eingetroffen – allesamt adressiert an den Weihnachtsmann, der in der Vorstellung vieler Kinder in der gleichnamigen Ortschaft residieren muss. Auch heute noch sind im kleinen Ortsmuseum von Santa Claus, einem Dorf mit 2000 Einwohnern im Süden des Bundesstaates Indiana, Postkarten und Briefe aus Deutschland, Japan, Brasilien oder anderen Ländern zu besichtigen. In kritzligen Buchstaben wird darin häufig höflich nach dem Wohlergehen von St. Nikolaus gefragt (»Wie geht es denn so?« – »Richten Sie Grüße an Mrs. Claus aus«), bevor die Kinder zu ihrem wichtigsten Anliegen kommen: ihrer Geschenkliste für Weihnachten.

Das Interesse an einer persönlichen Fürsprache beim Weihnachtsmann sei jedoch inzwischen deutlich zurückgegangen, sagt Museumskuratorin Sue Hurst im Gespräch. Doch auch die Beantwortung von rund 36 000 Briefen – so viele trafen im vorigen Jahr in Santa Claus ein – sei keine Kleinigkeit. Auch dieses Jahr stehe deshalb eine Gruppe von Freiwilligen zur Verfügung, die sich passenderweise Elfen nennen. »Wir finden, dass jeder Brief beantwortet werden muss«, sagt Sue Hurst. Dafür stünden vier Vorlagen zur Verfügung, immerhin werde die Adresse von Hand auf den Umschlag geschrieben. »Das ist eine Menge Arbeit.«

Wie das Dorf zu seinem Namen kam

Die Museumsdame kennt natürlich die Legende, wie das Kaff zu seinem Namen kam: 1856, als sich die wenigen Bewohner um die offizielle Anerkennung ihrer Poststelle bewarben, fanden sie heraus, dass ihre erste Wahl – Santa Fe – in Indiana bereits vergeben war. Also versammelten sie sich in der Vorweihnachtszeit in der kleinen Holzkirche, um über Alternativen zu grübeln. »Plötzlich«, erzählt Hurst, »schlug der kalte Wind die Tür auf und im leichten Schneefall war Glockengeläut zu hören.« Wie auf Befehl hätten die anwesenden Kinder geschrien: »Der Weihnachtsmann ist da.« Das gefiel den Bewohnern derart, dass sie sich für den Dorfnamen Santa Claus entschieden.

James Martin war der erste, der daraus Profit zu schlagen versuchte. Vor 90 Jahren entschied sich der damalige Postler, die vielen Kinderbriefe an den Weihnachtsmann zu beantworten, die in Santa Claus eintrafen. Im Museum ist die Rede davon, dass dies erstmals 1914 geschah, 60 Jahre nach Eröffnung der Poststelle. In den 20er Jahren entschied die Regierung gar, dass das Dorf fortan die Exklusivrechte am Namen Santa Claus besitze und keine andere Poststelle in den USA sich so nennen dürfe. Martin packte die einmalige Chance, die sich ihm bot: Fortan zog er durchs Land, um seine Heimat zu bewerben – und sich eine Lohnerhöhung zu sichern, denn Postler wurden nach der Anzahl der Briefe bezahlt, die sie beförderten.

Einige Tage vor Weihnachten 1935 eröffnete Milton Harris »Santa's Candy Castle«: ein trutziges Backsteinschloss, in dem Süßigkeiten erhältlich waren. Gesponsert wurde das Candy Castle von der Curtiss Candy Company aus Chicago. So stellte sich Milton Harris einen ganzen Park vor: ein kleines Dorf, in dem jedes Gebäude von einer Firma aus der Spielzeug- oder Süßwarenindustrie gesponsert würde. Doch seine Pläne zerschlugen sich – Harris verwickelte sich in juristischen Streit mit seinem Nachbarn, der ebenfalls einen Vergnügungspark plante. Dessen Attraktion war eine sieben Meter hohe Statue des Weihnachtsmanns, die zu einer Pilgerstätte für Kinder hätte werden sollen.

Die Folge dieses Rechtsstreits: Als der Zweite Weltkrieg begann, mussten beide Attraktionen geschlossen werden. Santa Claus war nur noch ein kleines Dorf in den lieblichen Hügeln von Indiana, mit einem außergewöhnlichen Namen.

Das Geschäft der Familie Koch brummt

Dann aber warf Louis Koch sein Auge auf den Weihnachtsmann. Der Geschäftsmann aus der nahen Industriestadt Evansville war der Meinung, dass sich aus dem Ort mehr machen ließe. Er entschloss sich, einen Vergnügungspark zu bauen. 1946 wurde Santa Claus Land eröffnet – die erste solche Anlage in den USA mit Attraktionen wie einem Karussell, einer Miniatureisenbahn und natürlich einem Santa Claus. Jim Yellig verkörperte den Weihnachtsmann für Millionen Kinder; er genießt deshalb auch Jahrzehnte nach seinem Tod einen legendären Ruf. »Er spielte keine Rolle«, erzählt Sue Hurst, »er war der richtige Weihnachtsmann.«

60 Jahre später hat sich das Bild stark verändert. Der Vergnügungspark heißt seit 1984 Holiday World, weil die Fixierung auf Weihnachten die Entwicklung behindert habe. Gegenüber eröffnete die Familie Koch, inzwischen in dritter Generation in Santa Claus tätig, auch einen Wasserpark. Und das Geschäft brummt. In der Saison 2009 wurden laut Firmenchef Will Koch über eine Million Besucher gezählt.

Etwas verloren ging dabei das besondere Merkmal von Santa Claus, die enge Verbundenheit mit dem Weihnachtsmann. Dieses Jahr versuchte die Familie Koch deshalb gegenzusteuern. Mitten im Sommer wurde im Einkaufszentrum ein riesiger Weihnachtsladen eröffnet. Richtig: Ein Geschäft, in dem das ganze Jahr über vom Tannenbaumschmuck bis zum dekorierten Geschirr alle möglichen Weihnachtsartikel erhältlich sind.

Zudem locken Kochs die Konsumenten in der Adventszeit mit zahlreichen Veranstaltungen. So findet auf dem Parkplatz vor dem Weihnachtsladen ein Karaoke-Singen von Weihnachtsliedern statt. »Das ist ein bisschen früh, nicht?« sagt eine ältere Frau an einem strahlend schönen Morgen. Aber dann summt sie fröhlich trotzdem das Lied mit, das gerade gespielt wird. Genauso hat sich das Philip Koch, Wills Bruder, vorgestellt: »Wir feiern hier das Fest, das wir uns immer gewünscht haben.«

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