Pistorius hofft auf Zehntausende Freiwillige

Bei nicht erreichten Rekrutierungszielen oder Sicherheitslage »verpflichtende Heranziehung« zu Wehrdienst möglich

  • Martin Trauth, AFP
  • Lesedauer: 4 Min.
Reservist*innen mit Schwurbekräftigung beim »Veteranentag« in Vechta.
Reservist*innen mit Schwurbekräftigung beim »Veteranentag« in Vechta.

Bei seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause tagt das Bundeskabinett am Mittwoch ausnahmsweise im Verteidigungsministerium. Denn dann sollen die Pläne für den neuen Wehrdienst beschlossen werden, mit dem Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) pro Jahr Zehntausende neue Rekruten zur Bundeswehr bringen will – bis auf Weiteres auf freiwilliger Basis. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht ist allerdings ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Was sehen die Pläne vor?

Ab dem kommenden Jahr soll in Anlehnung an das in Schweden praktizierte Modell an alle jungen Männer und Frauen ein Fragebogen versandt werden. Männer müssen ihn ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Dabei soll das Interesse am Dienst in der Bundeswehr abgefragt werden. Geeignete Kandidaten und Kandidatinnen werden dann zur Musterung eingeladen.

Ist alles im neuen Wehrdienst freiwillig?

Nein. Ab 2028 sollen alle 18-jährigen Männer zu einer verpflichtenden Musterung – auch wenn sie sich nicht für den freiwilligen Wehrdienst entscheiden. Ziel ist es nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium, ein »Lagebild« über die gesundheitliche Eignung deutscher Männer im wehrfähigen Alter zu erstellen.

Denn im Spannungs- oder Verteidigungsfall würde die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht nach aktueller Rechtslage ohnehin automatisch wieder in Kraft treten. Damit könnten alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren eingezogen werden, sofern sie den Kriegsdienst nicht verweigert haben.

Wie lange soll der Grundwehrdienst dauern?

Der Gesetzentwurf befindet sich noch in der Abstimmung, im Gespräch sind sechs Monate. Nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium sollen die Rekruten zu »Sicherungs- und Wachsoldaten« ausgebildet werden, was sie auch für einen »erweiterten Heimatschutz« befähige. Angeboten werden sollen aber auch weitere Qualifikationen in den verschiedenen Teilstreitkräften. Pistorius zufolge soll ein Ausbildungsteil auch Nutzung und Abwehr von Drohnen sein.

Wie viel Sold sollen die Freiwilligen bekommen?

Alle Wehrdienstleistenden sollen künftig als Soldatinnen und Soldaten auf Zeit berufen werden. Damit gehe eine Bezahlung nach dem Bundesbesoldungsgesetz einher, die deutlich besser ist als die bisherigen Bezüge der bisher freiwillig Wehrdienstleistenden, berichtete der »Spiegel« im Juli. Die Rede war demnach von Steigerungen um die 80 Prozent. Der Sold im neuen Wehrdienst würde dem Magazin zufolge dann bei über 2000 Euro netto liegen.

Warum wird der neue Wehrdienst eingeführt?

Ziel der Pläne ist es letztlich, vor dem Hintergrund der Bedrohung durch Russland neue Vorgaben der Nato für den Konfliktfall zu erfüllen. Diese sehen einen Bedarf von etwa 460 000 deutschen Soldatinnen und Soldaten vor. Derzeit gibt es nur knapp 183.000 Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr. Hinzu kamen 2024 gut 49 000 sogenannte beorderte Reservisten, die regelmäßig Dienst leisten. Pistorius strebt nun mindestens 260 000 Soldatinnen und Soldaten an sowie eine Gesamtzahl von 200 000 einsatzbereiten Reservisten.

Mit wie vielen Rekruten rechnet Pistorius?

Nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium werden im laufenden Jahr 15 000 Soldatinnen und Soldaten den bisherigen freiwilligen Wehrdienst leisten. Mit der Einführung des neuen Wehrdienstes ab 2026 solle ihre Zahl »im Schnitt um 3000 bis 5000« pro Jahr erhöht werden, um dann ab 2031 bis zu 40 000 pro Jahr zu erreichen. Die Hoffnung ist, dass sich ein Teil dann für einen längeren Dienst bei der Bundeswehr entscheidet. Zudem stehen durch den Wehrdienst künftig mehr Reservisten zur Verfügung.

Wie will die Bundeswehr die Freiwilligen zur längeren Verpflichtung bringen?

Es soll aktiv mit Anreizen im Dienst bei der Truppe geworben werden. Als Beispiele genannt werden im Verteidigungsministerium dabei unter anderem »hohes Grundgehalt, unentgeltliche Unterkunft, freie Heilfürsorge, kostengünstige Verpflegung, kostenloses Bahnfahren«. Zudem sollen »Verpflichtungsprämien« junge Menschen länger an die Bundeswehr binden.

Ist auch ein Umschwenken auf eine Wehrpflicht möglich?

Ja. Das ist im Gesetzentwurf vorgesehen, wenn die Rekrutierungsziele nicht erreicht werden oder die Sicherheitslage höhere Zahlen nötig macht. Für diesen Fall werde im Gesetz »eine verpflichtende Heranziehung ermöglicht«, hieß es aus dem Verteidigungsministerium Ende Juli. Es gebe aber »keinen Automatismus, keine festgelegte Zahl und keinen festgelegten Zeitpunkt für eine Aktivierung der Wehrpflicht«. Nötig ist auch die Zustimmung des Bundestags.

Warum gibt es in der Union Kritik?

Dort gibt es massive Zweifel, ob das Freiwilligenmodell zum Ziel führt. Deshalb wird teilweise ein Automatismus verlangt wird, um auf die Wehrpflicht umzuschwenken. Mit der Debatte um einen möglichen Bundeswehr-Einsatz in der Ukraine könnte der Druck hier nochmals steigen. Denn würde personell den Druck auf die Truppe weiter erhöhen.

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