Eine Art von Genie

Der Verleger S. Fischer in einer Biografie von Barbara Hoffmeister

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.

Er hat voller Neugier auf das neue Werk gewartet, doch jetzt, im Sommer 1900, mustert der Verleger unschlüssig den dicken Manuskriptstapel, diesen Berg doppelseitig beschriebener Blätter, er liest und liest und kommt doch mit der Lektüre nur langsam voran. Indes wartet Thomas Mann, der Autor, ungeduldig auf eine Antwort. Er wartet lange. Endlich, nach zweieinhalb Monaten, ein Brief. Der Verleger, der 1898 einen kleinen Novellenband mit der Geschichte vom kleinen Herrn Friedemann herausgebracht hat, schließt sich dem Urteil seines Lektors Moritz Heimann an. Er würde ja auch dieses Werk, das er nun bis zur Hälfte kenne, gern veröffentlichen, schreibt er, unter der Voraussetzung allerdings, er, Thomas Mann, sei bereit, den umfänglichen Roman um die Hälfte zu kürzen. Natürlich weiß er, was er dem jungen Mann da zumutet, deshalb fragt er noch rasch und versöhnlich, ob er ihm einige Bücher seines Hauses schicken könne.

Der 25-jährige Verfasser des Buches »Buddenbrooks«, der gerade seinen Militärdienst absolviert und im Lazarett liegt, ist, nach eigenem Bekenntnis, außer sich. Er verwahrt sich gegen die Verstümmelung seines Werks, und der zögerliche Verleger, klug, ja weise genug, gibt sofort nach, verzichtet auf Kürzungen und druckt skeptisch, wie er noch immer ist, tausend Exemplare. Der Roman erscheint in zwei gelb broschierten Bänden im Oktober 1901. Zwei Jahre später folgt die einbändige Ausgabe. Mit ihr beginnt der Triumphzug der »Buddenbrooks«. Und ein neues, großartiges Kapitel des 1886 gegründeten Editionshauses.

Ein berühmter Verlag und ein bedeutender Verleger: S. Fischer. Der Verlag, literarisch bedeutsam wie kein anderer seiner Zeit, hat seinen Chronisten schon vor Jahrzehnten gefunden. Damals, 1970, publizierte Peter de Mendelssohn sein Buch über die Geschichte des Hauses, eine penible Darstellung von 1400 Seiten, der später, 1985, eine üppig bestückte Ausstellung in Marbach folgte, dokumentiert im schweren, fast 800-seitigen Katalog. Der Gründer des Unternehmens, Samuel Fischer, blieb indes erkennbar nur an den Büchern, die er verlegte, und in den 1989 publizierten Briefen, die er mit seinen Autoren wechselte. Erst jetzt, zu seinem 150. Geburtstag, gibt es, natürlich in seinem Verlag, die schon lange vermisste Lebensbeschreibung.

Doch nun spürt man auch, wie schwierig die Aufgabe war, der sich Barbara Hoffmeister mit dieser Biografie unterzog. Die Geschichte des Samuel Fischer, der sich in der Regel nur S. Fischer nannte, liegt ja nicht wie ein aufgeschlagenes Buch vor uns, in dem man bloß ein bisschen blättern muss, um mit Auskünften reich beschenkt zu werden. Er war kein Mann, der sich auf dem Präsentierteller gefiel, er verbarg sich lieber, gab wenig von sich preis, tauchte ab in die Mystifikation. Die Fragen beginnen früh. Das Datum seiner Geburt ist unsicher. Er selber nennt den 24. Dezember 1859. Andere Quellen sprechen vom 23. Dezember. Die Matrikel des zuständigen Rabbinats sagen ganz anderes. Danach ist Samuel Fischer am 25. November 1858 geboren worden. Sicher ist wenigstens der Ort, in dem er zur Welt kam: Es ist das oberungarische, heute slowakische Liptovsky Mikulasch.

Barbara Hoffmeister hat sich umsichtig und mit bewundernswerter Geduld durchs Gestrüpp der Widersprüche gearbeitet und mühsam zusammengetragen, was Akten und Archive hergeben. Sie beschreibt den Weg eines Sprösslings aus deutsch-jüdischer Familie, der in der Provinz aufwächst, ein jüdisches Privatgymnasium absolviert und als Vierzehnjähriger zur Ausbildung nach Wien reist. Bis dahin liegt fast alles, was dieser junge Mann tut, im Halbdunkel. Das ändert sich erst, wenn 1879 seine Berliner Zeit beginnt. Er kommt als Gehilfe in der Zentralbuchhandlung von Hugo Steinitz am Bahnhof Friedrichstraße unter und erwirbt in kurzer Zeit so viel Ansehen und Profil, dass er 1883 dessen Teilhaber wird. Drei Jahre danach gründet er schon den eigenen Verlag. Das Buch, mit dem er seine Karriere startet und gleich Zeichen setzt, stammt von Henrik Ibsen.

S. Fischer hat sich als Verleger der großen Skandinavier, Tolstois, Dostojewskis und Zolas gleich einen Namen gemacht, aber es dauert nicht lange, dann wird er, welch eine Leistung, die deutschsprachige Moderne in seinem Programm versammeln: Gerhart Hauptmann, der mit seinem Drama »Vor Sonnenaufgang« für einen Skandal sorgte, die Österreicher Schnitzler und Hofmannsthal, Thomas Mann, später Wassermann, Hesse, Werfel, Stefan Zweig. Eingehend, kenntnisreich und mit bestechender Akribie beschreibt Barbara Hoffmeister, wie der kleine, stets korrekt gekleidete, dabei eher vorsichtige Verleger zum Motor literarischer Entwicklungen wird, wie er von Anfang an auf geistige Werte setzt und Schritt für Schritt mit neuen Verkaufsideen ein Publikum erobert, das sich seinen Ansprüchen zunächst nicht gewachsen zeigt, wie er sich auch immer wieder gegen Borniertheit und antisemitische Angriffe wehren muss.

Sie sind eine große Familie gewesen, der Verleger und seine Autoren, auch wenn es manchmal so aussieht, als könnte der Kampf um höhere Honorare zu Brüchen oder wenigstens empfindlichen Verstimmungen führen. Gerhart Hauptmann etwa droht schon mal polternd, den Verlag zu verlassen, aber auch er ist bis an sein Lebensende bei S. Fischer geblieben. Man pflegt die Geselligkeit in der Berliner Villa S. Fischers, man genießt den freundschaftlichen Umgang miteinander, auch in der Freizeit, auch im Urlaub, und bei alledem wird Ehefrau Hedwig das magische Zentrum des Unternehmens, sein weibliches Gesicht.

Wer über einen Verleger schreibt, muss auch über die Bücher und deren Verfasser schreiben, den Inhalt eines Verlegerlebens. Barbara Hoffmeister tut es in reichem Maß, sie erzählt von der Verlagsarbeit, sie reflektiert sogar das lange Werben Thomas Manns um Katia Pringsheim, gibt Einblicke in die Psychologie von Literaten, referiert Buchinhalte, widmet sich den Freundschaften und Geschäftsbeziehungen S. Fischers, umreißt in langen Abschweifungen, was am Rand dieses Lebensweges liegt, etwa die Architekturgeschichte Wiens. Der Mann auf dem Verlegerstuhl, selbstbewusst, empfindlich, auch reserviert, gerät streckenweise fast aus dem Blick.

Nahezu unsichtbar wird er, wenn es um seine letzten Jahre geht. Seine große Zeit ist nun vorbei, auf den Markt drängt das Massenbuch, das er nie wollte, und in der Endphase der Weimarer Republik kommt ihm, geplagt von Ängsten um die Zukunft, auch noch der Instinkt abhanden. Remarque bietet ihm seinen Roman »Im Westen nichts Neues« an, und er lehnt ab, weil er glaubt, die Leute wollten vom Krieg nichts mehr hören. Er ist alt und krank, bekommt kaum noch mit, was ringsum geschieht, und stirbt am 15. Oktober 1934.

Nach einem Wort Thomas Manns, der dem Verlag bis zu seinem Tod die Treue hielt, ist er »eine Art von Genie« gewesen, ein Mann, der das Charisma hatte, wesentliche Autoren seiner Zeit unter dem Dach seines Hauses zu vereinen, eine faszinierende, Epoche machende Literatur. Sie ist, wenn man Samuel Fischer zu Grabe trägt, in großen Teilen schon verboten, verbrannt, im Exil.

Barbara Hoffmeister: S. Fischer, der Verleger. Eine Lebensbeschreibung. S. Fischer Verlag. 495 S., geb., 22,95 €.

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