Gentrifizierung im Hamburger Westen

Die besetzte Rote Flora im Schanzenviertel beschäftigt den schwarz-grünen Senat

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Ende 2010 läuft der Vertrag zwischen dem Besitzer des autonomen besetzten Kulturzentrums und der Stadt Hamburg aus. Die Zukunft des Hauses ist noch ungewiss.
Das alternativ besetzte Kulturzentrum
Das alternativ besetzte Kulturzentrum

Bisweilen ähnelt die Sprache von Klausmartin Kretschmer der seiner Mieter. Er werde die »herrschenden Verhältnisse« in Hamburg ändern, falls es keine Lösung für die Rote Flora gebe. So drohte der Investor, der das seit zwanzig Jahren von linksautonomen Gruppen besetzte einstige Theater 2001 von der Hansestadt erwarb. Eine »brennende Flora« würde das Ende der schwarz-grünen Regierung an Alster und Elbe bedeuten, philosophierte Kretschmer vor Wochen im Stadtmagazin »SZENE Hamburg«.

Ende 2010 läuft der Vertrag zwischen ihm und der Stadt aus, zumindest theoretisch könnte er die Immobilie dann weiterverkaufen – was mit einer Räumung verbunden wäre. Kretschmer hat laut eigener Aussage ein Kaufangebot über 19,3 Millionen Euro vorliegen, was von Experten als unrealistisch hoch eingestuft wird. Seine Verkaufsabsicht wird aus dem Umfeld des Investors jedoch als ernsthaft eingeschätzt. »Wir werden jeden Versuch Kretschmers, das Projekt Rote Flora anzugreifen oder gar beenden zu wollen, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln politisch und praktisch verhindern«, kündigten einige Flora-Befürworter unter dem Namen »das radikale umfeld« bereits im Internet an.

Während die einst kontrovers betrachtete Hafenstraße in St. Pauli kaum noch in den Schlagzeilen auftaucht, steht die Rote Flora seit Jahren in der Diskussion. Das 1888 errichtete Gebäude diente zunächst als Varietétheater und Ringkampfbühne, dann als Kino. Als in den sechziger Jahren das Warenhaus »1000 Töpfe« einzog, wurde die Fassade in Firmengelb gestrichen, sonstiger Renovierungsbedarf jedoch ignoriert. Bestrebungen, die Flora als Stadtteilkulturzentrum zu nutzen, gab es lange bevor 1987 Pläne publik wurden, dort ein Musicaltheater zur Aufführung von »Das Phantom der Oper« zu installieren. Am 1. November 1989 erfolgte die Besetzung. »Im ersten Stock stießen wir auf ein Zimmer, das komplett mit Sesamstraßen-Motiven tapeziert war«, erinnert sich einer der Besetzer der ersten Stunde, dem in den neunziger Jahren Hausverbot erteilt wurde, weil er anlässlich einer Geburtstagsfeier eine Flasche Sekt öffnete – damals ein drogenpolitisches Unding in der Flora.

Seit Jahren finden im »autonomen besetzten Kulturzentrum« vegane Kochgruppen, eine Fahrrad- und Motorradwerkstatt, Konzerte, Soli-Partys und immer wieder auch Razzien der Polizei statt. Innerhalb der linken Szene ist das Projekt keinesfalls unumstritten. Manche Kritiker werfen den Floristen Dogmatismus vor, andere eine Entpolitisierung. »Die Rote Flora ist längst zur Partymeile für neoliberale Ober- und Mittelschicht-Youngster verkommen«, kritisiert ein Flugblatt der »Kommunistischen Assoziation«: »Politische Veranstaltungen, eine Debattenkultur oder einfach nur ein bisschen Verständnis für Flüchtlinge, Hartz-IV-Geschädigte und andere Menschen in Not sucht man dort vergeblich.«

Die einstige Alternativenhochburg Sternschanze hat sich gewandelt: Aus dem einstigen Wasserturm ist ein Hotel geworden, im Bahnhofsgebäude siedelte sich Mc Donald’s an. Gegenüber der Flora ist eine Piazza entstanden, auf der sich Flanieren oder Kaffee trinken lässt. Man muss Galao in sich haben, um eine tanzende Sternschanze zu gebären, kommentieren Spötter das Aufeinandertreffen von Genuss und Gegenkultur mit einem abgewandelten Nietzsche-Zitat. Doch je mehr sich die Sternschanze im Gentrifizierungsprozess wandelt, desto stärker erscheint die Symbolkraft des nun beinahe schon traditionellen Flora-Projekts. Ihr Verkauf durch Kretschmer würde »das Schicksal der Schanze als Yuppie-Viertel besiegeln«, urteilte die Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider (LINKE) und forderte die Fortführung des Projekts. Während der schwarz-grüne Senat abwartend reagiert, steht das ebenfalls zuständige Bezirksamt Altona in Kontakt zu Kretschmer. Bezirksamtsleiter Jürgen Warnke-Rose will vom Flora-Eigentümer mittlerweile die Zusage erhalten haben, dass das Haus nicht verkauft werden soll. Doch auch Warnke-Roses Absicht, »im Gebäude eine echte Stadtteilkulturnutzung stattfinden« zu lassen, würde auf eine Räumung hinauslaufen.

Nach dem massiven Angriff auf ein Polizeirevier im Schanzenviertel Anfang Dezember ist die Lage nicht einfacher geworden. In einem Bekennerschreiben kündigte die Gruppe »Koukoulofori« an, »ein munteres internationales Völkchen aus allen Ecken Europas« werde »für eine fulminante unvergessliche Erfahrung sorgen«, falls eine Räumung in Angriff genommen würde.

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